Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
mehr lange gegen die Einführung von richtigen Nahrungsmitteln stellen. Aber das alles sind nur kleine Schritte auf dem Weg zu meinem eigentlichen Ziel. Ich möchte den Menschen den Sternenhimmel zeigen. Nicht den künstlichen der Wände des Atriums, sondern den echten. Sie sollen das Funkeln der Sterne mit eigenen Augen sehen und dabei den roten Sand unter ihren Füßen und den lauen Wind in den Haaren spüren. Sie sollen den Duft von feuchter Erde nach einem Regenschauer riechen und die Nadeln der Tannenbäume durch ihre Finger rieseln lassen wie Sand. Vielleicht unterscheide ich mich doch nicht so sehr von den Rebellen, wie ich dachte. Denn auch ich kämpfe. Doch es ist ein Kampf ohne Waffen, der Jahre andauern wird, aber irgendwann zum Sieg führen wird. Alles, was ich dafür brauche, ist Geduld und ein starker Wille.
Es klopft an der Tür. Sofort stehe ich auf und sehe über eine Kamera A350 zusammen mit D560 und einem Tablett vor der Tür stehen. Durch meinen Fingerabdruck öffne ich ihnen die Tür. Auch das ist neu für mich. Obwohl ich nach wie vor in der Kuppel der Legionsführer keine andere Tür öffnen kann, so habe ich zumindest die Macht über meine eigene Tür. Denn diese lässt sich nur durch meinen eigenen Fingerabdruck öffnen oder schließen. Niemand kann sich unerlaubt Zutritt verschaffen. Dieser Zustand führt dazu, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich sicher fühle. Mein Zimmer unterscheidet sich vielleicht nicht von denen der anderen Legionsführer, trotzdem gehört es mir alleine. Es ist mein Zuhause. Mein Zufluchtsort.
Auf A350s Gesicht liegt wieder ihr schönes Lächeln. Während sie am Anfang nur selten gelächelt hat und sie mich jedes Mal, wenn sie es tat, damit aus der Fassung brachte, habe ich mich nun an den Anblick gewöhnt. Denn in den letzten Tagen lächelt sie immer öfter. Sie beginnt teilweise sogar zu scherzen. Ich genieße ihre Nähe jeden Tag mehr. Selbst unsere Unterrichtsstunden stellen keine Anstrengung für mich dar, sondern gleichen mehr den Gesprächen, die ich mit Florance in den Höhlen führte.
Wie selbstverständlich streichelt mir A350 auch jetzt leicht über den Arm. „Bist du nervös?“
„ Etwas“, gestehe ich ihr. „Ich habe Angst, mich zu versprechen und meinen Text zu vergessen.“
„ Du brauchst keine Angst zu haben und du brauchst auch keinen Text. Du hast dich so sehr für die gemeinsame Nahrungsvergabe eingesetzt, dass du nur dein Herz sprechen lassen musst. Die Menschen werden spüren, wie viel sie dir bedeuten.“
Obwohl ich mich mittlerweile daran gewöhnt habe, dass sie anders als die anderen Legionsführer ist, treffen mich solche Worte aus ihrem Mund nach wie vor. Sie spricht von Liebe und Zuneigung, als wären diese Gefühle immer Bestandteil ihres Lebens gewesen. Trotzdem hoffe ich natürlich, dass sie recht hat.
A350 deutet auf D560, die, mit dem Tablett vor der Brust, verschüchtert an der Tür stehen geblieben ist. „Ich habe dir heute dein Essen ausnahmsweise auf dein Zimmer bringen lassen, damit dich die anderen nicht verunsichern.“
Ich weiß genau, wen sie damit meint. A489 ist nach wie vor gegen mich und meinen Vorschlag. Er würde jede Gelegenheit nutzen, um mich zu demütigen.
„ D560 wird bei dir bleiben, bis du aufgegessen hast. Wir sehen uns dann bei dem Aufzug.“
Sie bleibt noch einmal kurz vor mir stehen und legt mir beide Hände auf die Schultern. „Ich glaube an dich.“
Ich spüre, wie Wärme meinen ganzen Körper durchflutet, und sehe das Leuchten in ihren lichtblauen Augen. Schon einmal hat jemand diese Worte zu mir gesagt. Es war Finn.
Nachdem ich ihr die Tür geöffnet habe, verlässt sie das Zimmer. In der Zwischenzeit hat D560 bereits mein Frühstück auf dem schmalen Tisch vor der großen Fensterwand angerichtet. Sie blickt hinaus auf die weite Ebene.
Geräuschlos setze ich mich auf den Stuhl und beginne, das Brötchen mit meinen Händen zu zerteilen. Ich kann nicht anders, als D560 zu beobachten. Ihr Blick ist voller Sehnsucht. Es ist nicht die Faszination und Neugier, die in meinen Augen gelegen hat, als ich das erste Mal die Welt außerhalb der Sicherheitszone sah. Bei ihr ist es viel mehr. In ihren Augen liegt eine tiefe Traurigkeit.
Gerade als ich ansetze, etwas zu sagen, höre ich plötzlich ihre zarte, zerbrechliche Stimme. „Ich hab dir bei der Konferenz zugehört.“
Ich wusste nicht, dass sie da war. Aber ich hätte es mir denken können, immerhin arbeitet sie in der
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