Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
Küche.
„ Mir hat der Teil mit der Liebe gefallen“, gesteht sie mir leise und wendet den Blick vom Fenster ab. Doch anstatt mich anzusehen, blickt sie zu Boden.
„ Was hat dir daran gefallen?“, frage ich sie, um das Gespräch nicht enden zu lassen.
„ Es wäre schön, etwas zu haben, für das es sich zu leben lohnt.“
Sie spricht davon, als wäre es ein Traum in weiter, unerreichbarer Ferne. Gibt es nichts, was sie hoffen lässt?
„ Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir dann wünschen?“
Irritiert hebt sie den Kopf und ich sehe, dass ihre lichtblauen Augen von roten Adern durchzogen sind. Sie muss viel geweint haben. „Ich würde mir wünschen, dass es zu Ende ist.“
Ich verstehe nicht, was sie mir damit sagen will. Oder vielleicht möchte ich es auch einfach nicht verstehen. „Was soll zu Ende sein?“
Sie blickt wieder zu Boden. „Mein Leben. Es ist wertlos.“
Erschüttert stehe ich auf und gehe um den Tisch herum auf sie zu. Ich muss wieder an die Glasscherbe in ihrer Hand denken. Also war es damals wirklich Absicht. Sie hatte sich bewusst selbst verletzt. Doch warum?
Wie A350 zuvor bei mir, lege ich ihr nun meine Hände auf die Schultern, doch dabei zuckt sie zusammen, als hätte ich sie geschlagen. Sie flüchtet mehrere Schritte vor mir zurück und starrt mich entsetzt an. Beruhigend hebe ich meine Hände, um ihr zu signalisieren, dass ich sie nicht noch einmal berühren werde.
„ Sag so etwas nicht“, bitte ich sie. „Auch wenn jetzt alles aussichtslos scheint, gibt es immer Hoffnung.“
„ Nicht für mich“, erwidert sie kalt und starrt bewusst an mir vorbei auf den Tisch. Ich habe mein Essen kaum angerührt.
„ Bist du fertig?“, fragt sie trotzdem schroff und beginnt bereits abzuräumen, ohne eine Antwort von mir abzuwarten.
Ich möchte ihr so gerne helfen, aber ich weiß ja nicht einmal, was ihr fehlt. Ist es die ganze Situation oder steckt da mehr dahinter? Ich bin sicher, viele Menschen in der Sicherheitszone sind unglücklich, doch ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich selbst verletzt hätte. Selbst Tränen sah ich zum ersten Mal bei Iris in den Höhlen.
„ Öffnest du bitte die Tür“, fordert mich D560 nun auf, ohne mich dabei anzusehen. Das Tablett trägt sie wie ein Schutzschild vor ihrer Brust. Sie klammert sich daran so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortreten.
„ Natürlich“, antworte ich ihr und betätige den Scanner. Noch ehe die Tür komplett offen ist, schlüpft D560 auch schon hindurch und flieht förmlich vor mir. Habe ich etwas Falsches gesagt?
Mein Herz schlägt mir wild bis zum Hals, als ich gemeinsam mit zehn der anderen Legionsführer in der schmalen Aufzugkabine den Weg hinab in die Sicherheitszone gleite. Während A350 neben mir steht und mir immer, wenn ich sie anblicke, zuversichtlich zunickt, spüre ich A566s Atem in meinem Nacken. Er steht direkt hinter mir und ich habe das Gefühl, dass er extra besonders schwer atmet. Auch Finns Atem kitzelte mich bei den Rebellen im Nacken, doch damals war es ein angenehmes Gefühl. Der Atem von A566 hingegen beschert mir eine Gänsehaut, wie ein kalter Windhauch. Ich kann nicht einmal sagen, was dieses Gefühl bei mir auslöst. Er ist mir nie unfreundlich gegenübergetreten. Ganz im Gegenteil, er war es, der die Wahl zu meinen Gunsten beeinflusst hat. Eigentlich sollte ich ihm dankbar sein. Er ist der einzige Legionsführer in meinem Alter. Wir könnten Freunde sein. Trotzdem bezweifele ich, dass es jemals dazu kommen wird.
Mit einem Ruck kommt der Aufzug zum Stehen. Einer nach dem anderen treten wir hinaus in das künstliche Licht des Atriums.
Während sich die Menschen bei meiner Ernennung vor dem Aufzug versammelt hatten, stehen sie nun in geordneten Reihen vor den noch verhüllten Nahrungsschaltern. Durch einen abgesperrten Weg bahnen wir uns den Weg auf eine Art Podest, links von den neuen Schaltern.
Die anderen Legionsführer stellen sich in einer Linie hinter mir auf, während ich am Rand des Podests vor einem Mikrophonständer stehe. Bei Versammlungen der Rebellen würde jetzt vor Aufregung wildes Gerede herrschen, das erst langsam zur Ruhe kommen müsste. Doch hier spricht niemand ein Wort. Jeder einzelne Bewohner der Sicherheitszone hat seine Augen gehorsam auf mich gerichtet. Es sind Augen ohne jegliche Regung. Sie schauen weder freundlich noch ärgerlich, weder neugierig noch gelangweilt. Ihr Blick ist wie erfroren. Aber ich weiß, dass man Eis brechen
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