Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
sowieso in den Kontrollraum“, verteidige ich mich.
„ Du hättest dir ja die Ohren zuhalten können“, erwidert A566 schulterzuckend, aber macht dann eine wegwerfende Handbewegung. „Mach dir deshalb keine Sorgen. Ich hab alles im Griff!“
Er scheint sich seiner Sache wirklich verdammt sicher zu sein. „Trotzdem, heute nicht“, lasse ich ihn erneut abblitzen.
Dieses Mal hebt er nur abwehrend die Hände. „Dann eben nicht. Wer nicht will, der hat schon.“
Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, verlässt er das Zimmer. Ist er jetzt etwa beleidigt? Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, und wende mich dem Monitor vor mir zu. Rechts unten am Bildschirmrand flackert die Bezeichnung des gezeigten Bewohners auf. Es ist D560. Warum hat er in ihr Zimmer geblickt? Was ist da zwischen den beiden? Sie hat mich bereits vor ihm gewarnt, aber warum?
Gedankenverloren lasse ich meine Finger über das Kontrollboard gleiten und drücke auf die Bezeichnung ‚D577‘. Es erscheint das Bild eines Zimmers in der Sicherheitszone. Finn liegt auf dem Bett und schläft bereits. Die Betten in der Sicherheitszone steuern den Schlaf ihrer Bewohner. Sobald es Schlafenszeit ist, wird ein Gas von der Decke abgesetzt, das den Bewohner zwingt einzuschlafen. Die Sensoren des Bettes fangen gleichzeitig jede Art von Träumen ab. Das heißt, Finn wird sich nicht einmal in seinen Träumen an mich erinnern können.
Er liegt auf dem Bett wie ein Roboter, dem man den Strom abgestellt hat. Völlig bewegungslos und ohne jegliche Emotion im Gesicht. Meine Fingerspitzen berühren den Monitor an der Stelle, wo sein Körper ist. Ich fahre mit dem Zeigefinger über seine Brust und wünsche mir, die Wärme seiner Haut spüren zu können. Bereits jetzt ist sie bei weitem nicht mehr so braun, wie sie es in den Höhlen war. Die Legion muss das irgendwie durch die Tabletten steuern, genauso wie sie unsere Augenfarbe und den Haarwuchs manipuliert. Aber selbst wenn sie ihm ein neues Gesicht verpassen würden, könnte ich ihn erkennen. Mein Herz würde ihn spüren und ich glaube daran, dass er genauso empfindet. Vielleicht kann er es sich noch nicht erklären, aber er muss dieselbe Zuneigung zu mir empfinden wie ich zu ihm.
Schweren Herzens löse ich mich von Finn und lasse meinen Finger weiter zu der Bezeichnung ‚D523‘ gleiten. Anders als Finn schläft Zoe noch lange nicht. Ihr Anblick lässt mich erschauern. Sie sitzt in einer Ecke ihrer Zelle und hat die Beine an ihren Körper gezogen, während sie ihre Knie mit den Armen umschlingt. Ihr Kopf lehnt an der Wand und ist zur Decke erhoben, wobei sich ihre Lippen leicht bewegen. Erst denke ich, dass sie spricht, doch dann erkenne ich an der Art ihrer Bewegungen, dass sie singt. Tränen laufen ihr dabei die Wangen runter. Es muss ihr wirklich schlecht gehen, denn so habe ich sie zuvor noch nie gesehen. Zoe war immer stark. Schon als ich noch nichts von den Rebellen und Zoes wahrer Identität wusste, habe ich sie dafür immer bewundert. Ich habe mich sogar danach gesehnt, etwas mehr wie sie zu sein. In gewisser Weise war sie mein Vorbild und sie jetzt so leidend zu sehen, lässt mein Herz sich zusammenkrampfen.
Über das Kontrollboard lasse ich mir den Flur vor Zoes Zelle anzeigen. Wie erwartet, steht Clyde vor ihrer Zelle. Er hat seinen Kopf gegen die Tür gelehnt und scheint Zoes Gesang zu lauschen, dabei wirkt er jedoch alles andere als glücklich. Er scheint förmlich mit ihr zu leiden. Es ist erstaunlich, wie nah die beiden sich plötzlich stehen. Zoes Worte sind für Clyde wie Märchen aus einer fremden Welt. Wie vielen anderen Bewohnern der Sicherheitszone würde es genauso ergehen? Mir wäre es vor der Entführung so ergangen. Ich hätte an ihren Lippen gehangen und jedes ihrer Worte in mich aufgesogen, wie ein Schwamm Wasser.
Seltsam, dass ich anfangs geglaubt habe, dass Clyde der Kontaktmann der Rebellen wäre. Keiner von ihnen hat das leicht verträumte Wesen von Clyde. Die Rebellen sind alle Realisten. Sie haben zu viel erlebt, um sich Träume zu gestatten.
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Das ist es! Warum bin ich nicht sofort darauf gekommen? Ich muss lediglich die Kontaktfrau der Rebellen vor dem Angriff warnen. Sie wird es weitergeben. Krampfhaft versuche ich, mich an ihre Bezeichnung zu erinnern, doch es ist lediglich ihr Gesicht, das mir vor Augen schwebt. Sie war eine Generation älter als ich und ein Mitglied der Kampfeinheit. Also müsste ihre Bezeichnung C4..
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