Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
nach ihr ab, doch sie ist nicht dabei. Verzweifelt blicke ich mich in dem Atrium um, als mich plötzlich jemand an der Schulter berührt. Erschrocken fahre ich herum und blicke in Clydes Gesicht. Ich habe ihn gar nicht gesehen. Er wirkt besorgt.
„ Wolltest du dich nicht bei mir melden?“, wirft er mir vor und ich sehe die dunklen Schatten unter seinen Augen, die auf Schlafmangel hindeuten.
„ Das ist nicht so leicht, wie du denkst“, versuche ich mich zu erklären. „Ich habe keine Genehmigung für den Aufzug. Ich kann die Legion nicht ohne Genehmigung oder die Aufsicht eines anderen Legionsführers verlassen.“
Er geht jedoch gar nicht auf meine Erklärungen ein. „Zoe geht es immer schlechter. Ich glaube, sie wird noch verrückt in der Zelle.“
„ Ich weiß, ich habe sie gestern über eine Kamera gesehen“, gestehe ich ihm.
„ Du musst etwas unternehmen!“, fordert Clyde und ich fühle mich durch seine Worte noch mehr unter Druck gesetzt. Glaubt er etwa, das wolle ich nicht? Sobald jemand Legionsführer ist, glauben die Menschen, derjenige hätte plötzlich ein leichtes Leben, dabei ist es schwerer als je zuvor. Ich muss die Rebellen vor einem Angriff der Legion warnen. Ich muss Finn dazu bringen, seine Erinnerungen wiederzufinden, und ich muss Zoe aus der Zelle herausholen. Doch niemand fragt, wie es mir dabei geht. Ich schaffe es kaum, nachts zu schlafen vor lauter Sorgen.
„ Ich gebe mein Bestes!“, versichere ich Clyde kleinlaut. Er nickt und lässt mich alleine zurück. Ich würde mir wünschen, dass er wenigstens gefragt hätte, wie es mir geht.
Ich sehe mich erneut im Atrium um, als ich den Blick einer Kämpferin auf mir spüre. Sie steht vor dem Aufzug und beobachtet mich anscheinend schon länger. Bei näherem Hinsehen erkenne ich, dass es C403 ist. Erleichtert laufe ich ihr entgegen.
„ Ich grüße dich, C403.“
„ Es ist mir eine Ehre, Legionsführerin A518“, erwidert sie und verneigt sich kurz vor mir.
„ Ich habe eine Nachricht für dich“, erkläre ich ihr und will bereits fortfahren, doch sie unterbricht mich.
„ Mir scheint, du hast für viele Leute Nachrichten. Ist das nicht etwas riskant?“
Will sie mich warnen? Es stimmt, mein Verhalten ist sicher auffällig, aber bisher konnte ich jede Situation klären oder wurde von A350 gedeckt. Dabei habe ich wohl vergessen, Vorsicht walten zu lassen. Zu sehr habe ich mich an ihren Schutz gewöhnt. Vielleicht hat C403 recht und ich sollte mich in Zukunft etwas mehr zurückhalten.
„ Du hast recht, aber die Nachricht, die ich für dich habe, ist wichtiger als alle anderen.“
Sie nickt als Zeichen für ihre Aufmerksamkeit.
„ Die Legion plant einen Überfall auf die Höhlen. Du musst sie so schnell wie möglich warnen. Sie sollen sofort fliehen.“
Entsetzt reißt sie die Augen auf. „Wie lange habe ich Zeit?“
„ Das kann ich dir nicht sagen. Es könnten Tage oder auch nur Stunden sein.“
Sie nickt erneut. „Ich werde mich darum kümmern.“
Ihrem Gesicht sehe ich an, dass das noch nicht alles war. Fragend blicke ich sie an.
„ Wann hast du dich eigentlich entschlossen, doch zu uns zu gehören?“
„ Ich habe mich für keine Seite entschieden, ich helfe lediglich meinen Freunden.“
„ Und es hat nichts mit Finn zu tun?“
„ Du hast ihn erkannt?“
„ Natürlich. Schon bevor ich dich mit ihm reden sah“, gibt sie zurück, so als wäre es selbstverständlich. Offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die in Gesichtern lesen kann.
„ Verrätst du mir deinen Namen?“
„ Ruby.“
10. Falsche Behauptungen
Am Abend findet sich D560, pünktlich nach dem Abendessen, erneut bei mir ein. Obwohl ich nichts gegen ihre Gesellschaft habe, kann ich nicht verstehen, warum A350 sie mir immer noch schickt. Gerade heute habe ich mich mehr als vorbildlich benommen. Als sie in die Sicherheitszone kam, um mich abzuholen, stand ich bereits vor dem Aufzug und habe auf sie gewartet. Danach habe ich mir geduldig ihren Vortrag über die Geschichte der Legion angehört, ohne ihr auch nur einmal ins Wort zu fallen, sie zu unterbrechen oder mit kritischen Fragen zu löchern. Ich habe sie weder nach Finn noch nach Zoe gefragt. Sie könnte also wirklich zufrieden mit mir sein, aber stattdessen schickt sie mir weiterhin meinen persönlichen Wachhund.
D560 hingegen scheint meine Nähe förmlich zu genießen. Mit jeder Nacht, die sie bei mir verbringt, wirkt sie gelöster und fröhlicher. Heute hat sie sogar angefangen
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