Radioactive -Die Verstossenen
ist komisch , den Namen zu hören. Er fühlt sich genauso fremd wie alles hier an, aber ich mag seinen Klang. Ein bisschen erinnert er mich an das Wort Klee. Wir haben über Klee im Bildungsunterricht gesprochen und auch über vierblättrige Kleeblätter, von denen die Menschen früher dachten, dass sie Glück bringen. Es ist also wohl nicht schlecht , einen Namen zu haben, der an einen Glücksbringer erinnert.
Ich setze mich vor ihn und Marie. Erst jetzt bemerke ich, dass etwas mit ihren Augen nicht stimmt. Sie sind hellblau, fast weiß , und starren quer durch den Raum, anstatt jemanden oder etwas Bestimmtes anzublicken. Trotzdem reiche ich ihr meine Hand.
„Hallo.“
Gustav schüttelt traurig den Kopf. „Marie ist blind, mein Kind. Sie sieht nicht wie wir, sondern kann nur fühlen.“
Behutsam legt er die Hand seiner Frau in meine. Sie ist faltig, aber warm und weich. Auch an ihr haftet ein süßlicher Geruch. So ähnlich hat es im Wald gerochen.
Vorsichtig tastet Marie über meine Fingerspitzen, meinen Handrücken, die Handinnenflächen und mein Handgelenk. Ihre Berührungen kitzeln etwas, aber ich genieße ihre Nähe.
An meinem Arm hält sie inne. „Darf ich?“, fragt sie höflich und deutet auf mein Gesicht.
Anstatt ihr zu antworten, nehme ich ihre Hände in meine und lege sie auf meine Wangen. Es ist ungewohnt , sich von einem fremden Menschen so eingehend abtasten und berühren zu lassen, aber bei Marie ist es nicht schlimm. Sie ist ganz sanft und zärtlich. Ich spüre ihre Berührungen kaum.
Sie tastet sich von meinen Wangen zu meinen Augen, meiner Stirn, meinem kahlen Kopf, meinen Ohren, meiner Nase und bleibt schließlich an meinen Lippen hängen.
Sie lächelt. Es ist ein so warmes und herzliches Lächeln, dass ich es ihr gleich tue.
„Da habe ich ja eine echte Schönheit vor mir.“, sagt sie und kichert , wie es sonst nur junge Mädchen tun.
Ich spüre , wie Hitze in meine Wangen schießt und senke gedemütigt den Blick. Bei jedem anderen würde ich annehmen, dass er mich verletzen will. Denn eines bin ich gewiss nicht: schön. Der Anblick im Spiegel hat mir gereicht.
„Nein, tut mir leid, aber ich bin nicht schön. Florance ist schön. Du bist schön, aber ich sicher nicht.“
Ich hasse mich für die Trauer in meiner Stimme und verfluche diesen Ort , an dem Aussehen nicht so unbedeutend wie in der Sicherheitszone ist. Doch Marie bleibt standhaft bei ihrer Meinung.
„Vielleicht ist deine Schönheit nicht für jeden sichtbar, denn ein gutes Herz kann man mit den Augen nicht sehen, sondern nur fühlen , und das kann ich besser als jede andere.“
Ein gutes Herz unterstellt sie mir also auch noch und das , obwohl ich sofort fliehen würde, wenn ich nur könnte. Ich schäme mich für meine Gedanken und hoffe, dass Marie nicht auch noch diese lesen kann.
Doch dieses Mal ist es Gustav, der mich durchschaut. „Du vermisst die Sicherheitszone, oder?“
Ich zögere einen Moment und blicke mich unsicher in dem Gemeinschaftsraum um. Doch außer uns ist niemand mehr da. Also wage ich , ehrlich zu sein und nicke betrübt. Ich möchte weder Gustav noch Marie verletzen, aber ich will sie auch nicht beleidigen , indem ich sie belüge.
Komischerweise ist es Marie, die mir antwortet, obwohl sie mein Nicken gar nicht sehen konnte.
„Das Atrium war wirklich immer beeindruckend. Obwohl man an einem einzigen Ort steht, kann es einem die ganze Welt zeigen.“ Bei dem Gedanken daran lächelt sie erneut, während ich sie entsetzt anstarre. Sie kennt das Atrium? Das heißt , sie muss selbst einmal in der Sicherheitszone gewesen sein. Wie ist das möglich? Ich hatte angenommen , keiner von ihnen wäre je dort gewesen, so wie Finn.
„Du warst da?“
Gustav lacht. „Aber natürlich, du hast vor dir Menschen der ersten Generation sitzen. Darf ich vorstellen: A175…“
„…und A176 .“, fügt Marie bei, wobei sie Gustavs Hand ergreift.
„Legionsführer!“, stoße ich beeindruckt hervor und fühle mich ihnen nun viel näher. Sie wissen , wovon ich spreche. Sie verstehen mich.
„Das war einmal, mein Kind. Jetzt sind wir nur noch Marie und Gustav. Ist das nicht genug?“
„Das ist mehr als genug, mein Liebling.“, antwortet ihr Gustav und streichelt ihre Wange.
„Warum habt ihr die Sicherheitszone verlassen?“, stoße ich fassungslos hervor. Sie hatten doch alles erreicht, wovon man nur träumen kann. Es gibt nichts Besseres , als Legionsführer zu werden. Es ist die höchste Ehre.
„Uns
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