Radioactive -Die Verstossenen
Haarschopf wie sie selbst. Mutter und Tochter. So etwas ist in der Sicherheitszone unvorstellbar. Niemand weiß , wer seine Eltern sind. Sofort nach der Geburt werden die Kinder von ihren Müttern getrennt und in der Erziehungsstation großgezogen.
Beeindruckt reiche ich Grace meine Hand entgegen, worüber sie sich freut. Freundlich legt sie ihre weiche Hand in meine.
„Das hab ich ihr beigebracht.“, erklärt Paul stolz.
„Gut gemacht, Schatz.“, freut sich Florance, wobei ihr Blick sich sofort verfinstert, als Finn sich neben mich setzt.
„Du hast schon gegessen.“
„Ich lasse sie nicht aus den Augen, ihr ist nicht zu trauen.“
„Sie hat auch einen Namen , und zwar Cleo. Und was glaubst du , was sie hier tun soll? Uns vielleicht mit Pfannkuchen ersticken?! Mach , dass du aus der Küche kommst oder ich mach dir Beine!“
Finns Augen senden Blitze in Florances Richtung, die sich davon nicht beeindrucken lässt, sondern selbst ein ganzes Unwetter zurückschickt.
„Komm schon, lass uns 'ne Runde gehen.“, fordert Paul Finn kameradschaftlich auf. Bevor er geht, drückt er jedoch Florance noch einen Kuss auf die vollen Lippen. Dabei muss sie sich auf die Zehenspitzen stellen und Paul sich ein Stück bücken. Nie zuvor habe ich zwei Menschen sich küssen gesehen. Peinlich berührt senke ich den Blick und trenne mit der Gabel ein Stück von dem Pfannkuchen ab. Schnell stecke ich ihn mir in den Mund. Wohlig warm breitet sich der süße Geschmack in meinem Mund aus und erst jetzt bemerke ich , wie groß mein Hunger ist.
Der erste Pfannkuchen ist schnell verputzt und der zweite folgt zugleich .
Erst nach ganzen vier gebe ich mich geschlagen und lege zufrieden die Hände auf meinen vollen Bauch, während mir Grace bereits den nächsten reichen will.
„Iss ruhig, wenn du Hunger hast.“, fordert sie mich lachend auf, aber ich lehne dankend ab.
Den Rest des Tages führt mich Florance weiter durch die Höhlen und die Umgebung, so erfahre ich , dass sie ein eigenes Gemüsefeld anlegen und sich so zu einem großen Teil versorgen. Außerdem gehen sie wohl häufiger auf die Jagd, was für mich kaum vorstellbar ist, da ich alle Tiere bereits für ausgestorben hielt. Das es nicht so ist, grenzt für mich an ein Wunder , und umso grausamer ist es da , diese Tiere zu töten. Ich wünschte , ich würde ein Schwein lebendig sehen, bevor ich es auf einem Teller vor mir serviert bekomme.
Die Lage der Höhlen ist optimal, sie sind geschützt durch einen Berg, wobei Florance ihn eher als Hügel bezeichnet, doch ich habe nie etwas Größeres gesehen. Die Höhlen grenzen an lichten Wald mit einem See, so ist die Bewässerung ihrer Pflanzen überhaupt erst möglich. Denn abgesehen von dem Wald blickt man von den Höhlen auf meilenweite rote, trockene Sandwüste. Ich frage mich , wo die Sicherheitszone ist, so weit weg kann es nicht sein, aber zu sehen ist nichts. Ich hüte mich jedoch davor , es zu fragen, damit würde ich Finn nur in seinen, zugegeben wahren, Behauptungen über mich bestärken.
Am Abend lerne ich schließlich auch noch die letzte Bewohnerin kennen. Gustavs Frau: Marie.
Ihr Gesicht ziert mindestens genauso viele Falten wie das von Gustav, wenn nicht sogar noch mehr. Doch ihre Augen und ihr Mund haben einen so liebevollen Ausdruck, dass ich sofort weiß, dass es zahllose Lachfalten sein müssen. Trotz ihres hohen Alters ist sie wunderschön. Ihr Haar ist schneeweiß und legt sich in sanften Wellen über ihre gebräunte Haut. Gustav in ihrer Nähe zu sehen, rührt mich zutiefst. Wann immer er sie anblickt, liegt ein Lächeln auf seinen schmalen Lippen. Sobald sie aufsteht, reicht er ihr seine Hand und führt sie , wo immer sie hin will. Er streichelt ihr über die Wangen und küsst ihre Stirn.
Anders als bei Florance und Paul fühle ich mich von diesem Anblick nicht beschämt, sondern kann meine Augen kaum abwenden. Die beiden sind so alt und müssen sich schon eine halbe Ewigkeit kennen und trotzdem ist das Leuchten und die Bewunderung für Marie in Gustavs Augen noch lange nicht erloschen.
Liebe war bisher für mich immer nur ein abstrakter Begriff. Etwas, das es in unserer Welt nicht mehr geben sollte. Etwas, das ich nicht nachvollziehen konnte und vor dem ich mich vielleicht sogar gefürchtet habe . Aber wenn ich Gustav und Marie betrachte, sehne ich mich nach demselben Glück.
Nach dem Essen ruft mich Gustav zu sich und nennt mich bei dem Namen, den er selbst für mich ausgewählt hat: Cleo. Es
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