Radioactive -Die Verstossenen
entgegnet er strikt und kompromisslos.
„Warum nicht?“
„Sobald du oben bist, lässt du mich doch hier verdursten und läufst in die Sicherheitszone.“
Das sagt der Richtige. „Ich weiß nicht mal , wo die Sicherheitszone ist.“
„Du weißt auch nicht , wo die Höhlen sind.“
„Aber ich könnte sie wiederfinden und Hilfe holen, immerhin sind wir von dort gekommen.“
„Ich traue dir nicht, du bist schon einmal geflohen und heute Morgen hast du mir noch damit gedroht.“
„Wir haben gerade Waffenstillstand geschlossen, schon vergessen?“
Stur schüttelt er den Kopf. „Es muss anders gehen.“
„Wenn wir noch länger warten, wird es dunkel , und dann finde ich den Weg erst recht nicht mehr.“
„Los , knie dich hin, dann steige ich auf deinen Rücken.“
Seufzend knie ich mich zu Boden, damit Finn meinen Rücken als Stufe benutzen kann. So kann ich sein Gewicht zwar tragen, aber wir sind immer noch zu weit vom Rand der Grube entfernt, um uns daran herausziehen zu können.
Seine Stiefel graben sich schmerzhaft in meine wunde, von der Sonne verbrannte Haut. Erleichtert richte ich mich auf , als Finn aufgibt und wieder von mir runter steigt.
„Bitte vertrau mir. Ich verspreche dir, dass ich zurückkomme.“, versuche ich es erneut so eindringlich wie möglich. Mit meinen Augen suche ich seinen Blick und halte diesem stand. Ich sehe den Sturm in seinen eisblauen Augen. Es fällt ihm schwer , anderen Menschen zu vertrauen, aber ausgerechnet mir zu vertrauen , ist schier unmöglich.
„Nenn mir nur einen Grund , warum ich dir glauben sollte. Du verachtest mich doch genauso wie ich dich.“
„Nein, tue ich nicht.“
„Du wirst dich an mir rächen wollen, weil ich mein Wasser nicht mit dir geteilt habe. Ich weiß , es war nicht nett…“
Nein, das war es nicht. Aber dass er es selbst sogar zugibt, zeigt mir nur, dass er sich seiner Schuld wenigstens bewusst ist. Zudem hätte ich jede Menge andere Gründe , für die er es mehr verdient hätte , in dem Loch zu versauern.
„Du hast mir den letzten Schluck gelassen. Bitte , Finn, es ist unsere einzige Chance.“
Er zögert und ringt mit sich. Es kostet in größte Überwindung, die folgenden Worte hervor zu pressen : „Wenn du abhaust, werde ich dich wiederfinden und töten, das verspreche ich dir.“
Schon wieder eine Drohung! Er hätte es wirklich verdient , wenigstens eine Nacht in dem Loch zu schmoren und trotzdem weiß ich, dass ich es dazu nicht kommen lassen werde.
„Und ich verspreche dir, dass ich nicht fliehen werde.“
Zu meinem Erstaunen zieht er sich die dunkle Kappe vom Kopf und setzt sie mir auf. „Mit Sonnenstich hilfst du mir erst recht nicht.“
Seine nass geschwitzten Haare fallen ihm in die Stirn, während seine warme Kappe meine Kopfhaut zum Kribbeln bringt. Er verschränkt seine Hände ineinander, wie zuvor ich es getan habe , und fordert mich mit seinem Blick auf, daran empor zu klettern.
Vorsichtig, um ihm nicht wehzutun, setze ich meinen Stiefel in seine Hand und stoße mich mit dem anderen Fuß vom Boden ab, wobei Finn mich empor hebt. Unsere Blicke treffen sich. Ich bin ihm so nah wie noch nie zuvor. Nur Zentimeter trennen unsere Nasenspitzen voneinander .
„Klettere auf meine Schultern.“
Was? Was hat er gesagt? Ich verstehe kein Wort, kann nur in seine Augen starren, die so viel Kummer und Schmerz widerspiegeln. Es ist , als würde ich direkt in seine Seele blicken.
„Jetzt mach schon!“, knurrt er und ruft mich erst durch seine Unfreundlichkeit in die Wirklichkeit zurück. Schnell mache ich , wie mir befohlen. Auf beiden Beinen stehe ich nun auf seinen Schultern, sodass ich gerade so aus der Grube blicken kann. Mit beiden Händen stütze ich mich am Rand ab und versuche , mich hochzuziehen. Nur weil Finn von unten mit beiden Händen nachhilft, schaffe ich es.
Vor der Grube bleibe ich stehen und blicke zu Finn hinunter. Ich kann die Angst aus seinen Augen förmlich schreien hören. Er vertraut mir nach wie vor nicht. Im Grunde rechnet er sogar damit, dass ich nicht wiederkomme.
Ich will ihm noch einmal versichern, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht, doch als ich zum Sprechen ansetze , unterbricht er mich ruppig. „Geh einfach!“
Schnell drehe ich mich um und laufe los. Es ist komisch , ihn alleine zurückzulassen. Am liebsten würde ich bei ihm bleiben und so die Zeit , in der er mich wie ein Mensch behandelt , anhalten. Ich habe Angst, dass er den Waffenstillstand vergessen haben
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