Rächende Geister
befehlen lassen, was sie wusste und was nicht, und sie begegnete Kaits Blick mit trotzigem Widerspruch.
»Frauen, die einem Haushalt angehören, müssen zusammenhalten«, sagte Kait.
Renisenb fand ihre Stimme wieder.
»Warum?«
»Weil sie die gleichen Interessen haben.«
Renisenb schüttelte den Kopf.
»So einfach ist das nicht.«
»Willst du Unannehmlichkeiten heraufbeschwören, Renisenb?«
»Nein. Was meinst du übrigens mit Unannehmlichkeiten?«
»Alles, was damals in der großen Halle gesagt worden ist, wird am besten vergessen.«
Renisenb lachte.
»Du bist dumm, Kait, die Diener, die Sklaven, meine Großmutter, alle müssen es gehört haben. Weshalb Geschehenes ungeschehen machen wollen?«
Satipy fiel mit plötzlicher Gereiztheit ein: »Hör auf davon zu reden, Kait. Wenn Renisenb Unannehmlichkeiten heraufbeschwören will, so lass sie doch.«
»Das will ich ja gar nicht«, entgegnete Renisenb unwillig. »Ich finde es nur dumm, einen falschen Anschein zu erwecken.«
»Nein, es ist klug«, sagte Kait. »Du musst an Teti denken.«
»Teti fehlt nichts.«
»Niemandem fehlt etwas… nachdem Nofret tot ist«, lächelte Kait.
Es war ein ernstes, ruhiges, zufriedenes Lächeln, und wieder fühlte Renisenb Auflehnung im Innern.
Immerhin hatte Kait Recht. Friede herrschte, und es fehlte niemandem etwas. Der Eindringling, der Störenfried, war für immer fort.
Warum aber hegte Renisenb kameradschaftliche Gefühle für die tote Frau, die sie nicht geliebt hatte? Weshalb dieses Bedauern und dieses Mitleid für die böse, schlechte Nofret? Renisenb schüttelte verwirrt den Kopf. Sie saß am Wasser, nachdem die andern sich entfernt hatten, und versuchte vergeblich, sich über alles klar zu werden.
Die Sonne stand tief, als Hori, der den Hof überquerte, Renisenb sah, zu ihr kam und sich neben ihr niederließ.
»Es ist spät, Renisenb. Du solltest hineingehen.«
Seine ernste, ruhige Stimme beschwichtigte sie wie stets.
Sie bekannte ihm ihre Sorgen:
»Wieso sind alle mit einem Mal anders, Hori? Satipy ist nicht wieder zu erkennen. Man kann sich doch nicht in einem Tag ändern.«
»In einem Tag – nein.«
»Und Kait, die immer so still und ergeben war, beherrscht uns nun alle. Sogar Sobek scheint Angst vor ihr zu haben. Auch Yahmose ist anders; er erteilt Befehle und erwartet, dass man ihm gehorcht!«
»Und all das verwirrt dich, Renisenb?«
»Ja. Weil ich es nicht verstehe. Manchmal meine ich, dass vielleicht auch Henet ganz anders ist, als sie sich gibt.«
Renisenb lachte wie über etwas ganz und gar Lächerliches, aber Hori stimmte nicht ein. Seine Miene blieb ernst und nachdenklich.
»Du hast über die Menschen noch nicht viel nachgedacht, nicht wahr, Renisenb? Sonst wüsstest du wohl…« Er machte eine Pause und fuhr dann fort: »Du weißt doch, dass alle Gräber eine Scheintür haben.«
»Ja, natürlich«, gab sie verwundert zurück.
»Nun, mit den Menschen verhält es sich ebenso. Sie schaffen sich eine Scheintür, um zu täuschen. Wenn sie sich ihrer Schwäche, ihrer Untüchtigkeit bewusst sind, machen sie sich eine Tür der Selbstsicherheit und Überlegenheit, und nach einer Weile glauben sie selber daran. Sie glauben, und jeder glaubt, dass sie die vorgetäuschten Eigenschaften haben. Aber hinter der Tür, Renisenb, da ist nackter Felsen… Und wenn dann die Wirklichkeit kommt und sie mit der Feder der Wahrheit berührt, offenbart sich ihr wahres Ich. Kaits Sanftheit und Unterwürfigkeit brachten ihr alles, was sie sich wünschte – einen Gatten und Kinder –, Dummheit erleichterte ihr das Leben, aber als die Wirklichkeit in Form von Gefahr drohte, kam ihre wahre Natur zum Vorschein. Sie hat sich nicht verändert, Renisenb – diese Strenge und Unbarmherzigkeit gehörten schon immer zu ihrem Charakter.«
Renisenb sagte naiv: »Aber mir gefällt das nicht. Es erschreckt mich. Jeder soll anders sein, als man meint… Und wie verhält es sich mit mir? Ich bin doch immer dieselbe.«
»Wirklich?«, lächelte er. »Warum hast du dann all die Stunden grübelnd hier gesessen? Hat das die frühere Renisenb auch getan?«
»O nein. Da war es nicht nötig…« Sie hielt inne.
»Siehst du? Du sagst es selbst. Du bist nicht mehr das glückliche, gedankenlose Geschöpfchen, das alles hinnahm. Worüber hast du denn gegrübelt?«
»Über Nofret… warum ich sie nicht vergessen kann. Sie war böse und grausam und versuchte uns weh zu tun, und nun ist sie tot – weshalb kann ich es nicht dabei
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