Rächende Geister
meinen Augen nichts anderes sehe oder mit meinen Ohren nichts anderes höre. Du hast Henet wohl gefragt? Was meint sie dazu?«
»Sie ist betrübt. Um meinetwillen.«
Esa hob die Brauen.
»Wirklich? Dann solltest du den Fall als abgeschlossen betrachten. Es gibt viele andere Angelegenheiten, die auf dich warten.«
»Das stimmt.« Imhotep stand mit der ihm eigenen übertriebenen Würde auf. »Yahmose wartet in der Haupthalle auf mich mit dringenden Angelegenheiten. Ich habe viele Entscheidungen zu treffen. Wie du sagst, persönlicher Kummer darf uns von der Erfüllung der Pflichten nicht abhalten.« Er ging hinaus.
Esa lächelte ein wenig sardonisch vor sich hin, dann wurde ihr Gesicht wieder ernst. Sie seufzte und schüttelte den Kopf.
Yahmose wartete zusammen mit Kameni auf seinen Vater. Hori, erklärte er, beaufsichtige gerade die Arbeit der Einbalsamierer und der Leute, die die letzten Vorbereitungen zum Begräbnis trafen.
Es hatte einige Wochen gedauert, bis Imhotep nach Erhalt der Nachricht von Nofrets Tod heimgekehrt war, und die Vorbereitungen zum Begräbnis waren inzwischen fast vollendet. Die Leiche hatte lange in der Lauge gelegen, war hergerichtet, geölt und mit Salzen eingerieben worden und lag im Sarg.
Yahmose sagte, er habe jene kleine Grabkammer neben dem Felsengrab gewählt, die dafür bestimmt war, dereinst Imhotep selber aufzunehmen. Er führte im Einzelnen aus, was er veranlasst hatte, und Imhotep drückte seine Billigung aus.
»Du hast es recht gemacht, Yahmose«, sagte er freundlich. »Du hast Entschlusskraft und Überlegung bewiesen.«
Yahmose errötete leicht ob des unerwarteten Lobes.
»Opi und Montu sind allerdings ziemlich teure Einbalsamierer«, fuhr Imhotep fort. »Ich hätte unbekanntere gewählt.«
»Während deiner Abwesenheit musste ich entscheiden, und ich war darauf bedacht, dass dem Weib, dem du so zugetan warst, die gebührenden Ehren erwiesen werden.«
Imhotep nickte und klopfte seinem Sohn die Schulter.
»Es war ein gut gemeinter Fehler, das erkenne ich an, und die unnötigen Ausgaben wurden mir zuliebe gemacht. Gleichwohl heißt es sparen…«, er räusperte sich. »Wir wollen sehen, wie wir die Ausgaben verringern können. Lies mir den Kostenanschlag vor, Kameni.«
Kameni raschelte mit dem Papyrus.
Yahmose stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
Kait ging zum See und blieb an der Stelle stehen, wo die Kinder und Mütter sich aufhielten.
»Du hattest Recht, Satipy«, sagte sie. »Ein totes Weib ist wirklich nicht dasselbe wie in lebendes Weib!«
Satipy blickte sie mit verschwommenen Augen an, und Renisenb fragte schnell statt ihrer: »Wie meinst du das, Kait?«
»Für die Lebende war nichts gut genug – Kleider, Juwelen, sogar die Erbschaft, die Imhoteps eigenem Fleisch und Blut gehören sollte! Aber jetzt ist Imhotep eifrig damit beschäftigt, die Begräbniskosten zu verringern. Wozu für eine Tote Geld verschwenden? Ja, Satipy, du hattest Recht.«
Satipy murmelte: »Was sagte ich denn? Ich weiß es nicht mehr.«
»Es ist am besten so«, stimmte Kait zu. »Ich weiß es auch nicht mehr. Und Renisenb hat es ebenfalls vergessen.«
Renisenb blickte Kait wortlos an. In Kaits Stimme hatte eine leichte Drohung geschwungen, die Renisenb Unbehagen bereitete. Sie hatte Kait eigentlich immer für einen etwas dummen, unterwürfigen Menschen gehalten. Jetzt fiel ihr auf, dass Kait und Satipy die Rollen vertauscht zu haben schienen. Offenbar beherrschte die ruhige Kait nun Satipy.
Oder gewann man diesen Eindruck, weil Satipy sich verändert hatte? fragte sich Renisenb. Ihre Stimme schrillte nicht mehr, und sie hatte ihr selbstbewusstes Gehaben gänzlich abgelegt. Renisenb meinte zuerst, der Schrecken über Nofrets Tod habe die Veränderung bewirkt, aber so lange konnte der Schrecken doch nicht anhalten. Anstatt, wie man es von Satipy erwartet hätte, sich unverblümt über den plötzlichen Tod der Frau auszulassen, zuckte sie nur zusammen, sooft Nofrets Name fiel. Sie schien auch Yahmose sanfter zu behandeln, und er zeigte infolgedessen mehr Sicherheit und Entschlossenheit. Jedenfalls brachte Satipys Verwandlung nur Gutes, fand Renisenb, doch irgendwie war sie ihr unheimlich…
Mit einem Mal merkte Renisenb, dass Kait sie mit gerunzelten Brauen betrachtete.
Offensichtlich erwartete Kait ein Wort der Zustimmung. »Renisenb weiß es auch nicht mehr«, wiederholte sie.
Renisenb fühlte plötzlich eine ganz starke Auflehnung. Sie wollte sich von niemandem
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