Rächende Geister
Lebenden hat den Wein vergiftet, den Yahmose und Sobek getrunken haben. Du hast einen Feind, Imhotep, ja, einen Feind hier im Hause. Soviel ist klar, denn seit Renisenb auf Horis Rat die Zubereitung von Yahmoses Speisen überwacht und sie ihm selber bringt, seither, wohlgemerkt, erholt Yahmose sich und wird mit jedem Tag gesünder. Sei kein Tor mehr, Imhotep, hör auf, zu klagen und dir die Haare zu raufen, hör auf mit dem nutzlosen Gejammer, in dem Henet dich auch noch unterstützt…«
»O Esa, wie du mich missverstehst!«
»In dem Henet dich so tatkräftig unterstützt, sage ich, entweder weil sie auch eine Törin ist oder aus irgendeinem anderen Grunde…«
»Möge Re dir deine Unfreundlichkeit gegen ein armes, einsames Weib verzeihen!«
Esa sprach weiter, wobei sie ihren Stock nachdrücklich schüttelte: »Nimm dich zusammen, Imhotep, und denke nach. Wir müssen handeln, mein Sohn, sonst gibt es noch mehr Tote.«
»Ein lebender Feind? Ein Feind in diesem Hause? Glaubst du das wirklich, Esa?«
»Natürlich glaube ich das, weil es die einzige Erklärung ist, die Sinn gibt.«
»Aber dann wären wir ja alle in Gefahr?«
»Wir sind auch in Gefahr. Nicht Zauberkräfte und Geisterhände bedrohen uns, sondern eine lebendige Hand, die Wein vergiftet und einen nachts aus dem Dorf heimkehrenden Knaben in den See stößt!«
Imhotep erwiderte gedankenvoll: »Um das zu tun, muss man sehr stark sein.«
»Nicht einmal. Ipy hatte im Dorf viel Bier getrunken. Er war in überschwänglicher, prahlerischer Stimmung. Vielleicht fühlte er sich auf den Füßen nicht sicher, und da er sich vor der Person, die ihn lockte, nicht fürchtete, beugte er sich freiwillig über das Wasser, um sein Gesicht im See zu kühlen. Dann wäre nicht mehr viel Kraft nötig gewesen.«
»Worauf willst du hinaus, Esa? Dass eine Frau es getan hat? Unmöglich! Ach, all das ist unmöglich! Es kann in diesem Haus kein solcher Feind sein, ohne dass ich es wüsste!«
»Es gibt eine Bosheit des Herzens, Imhotep, die sich äußerlich nicht zeigt.«
»Du meinst, dass einer der Diener oder Sklaven…«
»Kein Diener und kein Sklave, Imhotep.«
»Einer von uns? Oder sonst Hori oder Kameni? Aber Hori gehört zur Familie; er hat sich als treu und vertrauenswürdig erwiesen. Und Kameni… gewiss, er ist ein Fremder, aber er ist unseres Blutes und hat sich sehr diensteifrig gezeigt. Außerdem kam er erst heute Morgen zu mir und drängte mich, meine Einwilligung zu seiner Heirat mit Renisenb zu geben.«
»Oh, wirklich?« rief Esa gespannt. »Und was hast du gesagt?«
»Was hätte ich sagen können?«, gab Imhotep ärgerlich zurück. »Ich sagte natürlich, dass augenblicklich nicht die richtige Zeit sei, um von Heirat zu reden.«
»Und was meinte er dazu?«
»Er erklärte, seiner Meinung nach sei jetzt genau die richtige Zeit. Er meinte, Renisenb sei in diesem Hause nicht sicher.«
»Das frage ich mich nun auch«, versetzte Esa. »Hori und ich dachten, sie wäre hier sicher. Aber jetzt…«
»Kann man eine Hochzeit feiern, wenn Begräbniszeremonien stattfinden?«, fuhr Imhotep erregt fort. »Das schickt sich nicht.«
»Die Konvention spielt jetzt keine Rolle. Zumal die Einbalsamierer sich dauernd bei uns aufhalten. Opi und Montu haben gute Zeiten.«
»Sie haben ihre Forderungen um zehn Prozent erhöht!«, rief Imhotep, den diese Frage vorübergehend ablenkte.
»Sie sollten uns in Anbetracht der vielen Arbeit, die sie durch uns erhalten, einen Nachlass gewähren.« Esa lächelte grimmig über ihren Scherz.
Imhotep sah sie entsetzt an.
»Wie kannst du das nur als Spaß auffassen!«
»Das ganze Leben ist ein Spaß, Imhotep, und der Tod lacht zuletzt. Wird nicht bei jedem Fest gerufen: Eßt, trinkt und seid fröhlich, denn morgen werdet ihr sterben? Nun, das trifft auf uns zu; die Frage ist nur, wer morgen sterben wird.«
»Was du sagst, ist fürchterlich – fürchterlich! Was soll ich nur tun?«
»Trau niemandem«, sagte Esa. »Das ist die Hauptsache.« Sie wiederholte nachdrücklich: »Trau niemandem.«
Henet begann zu schluchzen.
»Warum blickst du mich an? Mir darf man gewiss trauen, das habe ich in all diesen Jahren bewiesen. Hör nicht auf sie, Imhotep!«
»Aber, aber, meine gute Henet, natürlich vertraue ich dir. Dein treues, ergebenes Herz kenne ich gut.«
»Du kennst keinen Menschen«, fiel Esa ein. »Niemand kennt einen andern wirklich. Das eben ist unsere Gefahr.«
»Du hast mich beschuldigt«, jammerte Henet.
»Ich beschuldige
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