Rächende Geister
gut. Du bist jung und gesund und kannst noch viele Kinder haben.«
»Besteht darin das Leben der Frau?«
»Für die Frau ist es die Hauptsache, das weißt du wohl. Rede nicht, als ob du eine Sklavin wärst. In Ägypten verfügen die Frauen über Macht, durch sie geht die Erbschaft auf die Kinder über. Die Frauen sind das Lebensblut Ägyptens.«
Nachdenklich betrachtete Renisenb ihre Tochter Teti, die voller Ernst für ihre Puppe einen Blumenkranz wand.
Teti blickte auf und lächelte ihre Mutter an. Es war ein zutrauliches, heiteres Lächeln.
Kait sah Renisenb neugierig an.
»Was wünschst du dir eigentlich, Renisenb? Ich verstehe dich nicht recht.«
Renisenb antwortete nicht. Wie hätte sie in Worte fassen sollen, was sie selber nicht verstand? Sie sah um sich, auf die Hofmauern, den fröhlich bemalten Vorplatz des Hauses, das glatte Wasser des Sees und den anmutigen kleinen Pavillon, die hübschen Blumen und die Papyrusstauden.
Leise sagte sie: »Von hier aus kann man den Fluss nicht sehen…«
Kait machte ein erstauntes Gesicht.
»Wozu soll man ihn denn sehen?«
»Ich weiß nicht. Ach, ich bin dumm…« Renisenb holte tief Atem. »Wie friedlich es hier ist. Man vermag sich gar nicht vorzustellen, dass hier etwas geschehen könnte, etwas Grauenvolles…«
Aber gerade am See wurde Ipy am nächsten Morgen gefunden. Er lag, das Gesicht nach unten gekehrt, ausgestreckt auf dem Grunde des Wassers, wo eine Hand ihn festgehalten hatte, so dass er ertrunken war.
18
Zweiter Monat des Sommers – 10. Tag
I mhotep saß zusammengesunken da. Er sah viel älter aus, ein gebrochener, betagter Mann. Sein Antlitz trug einen bemitleidenswert verwirrten Ausdruck.
Henet brachte ihm Speisen und redete ihm gütlich zu, etwas zu essen.
»Ja, ja, Imhotep, du musst dir deine Kraft erhalten.«
»Wozu? Was ist Kraft? Ipy war kräftig in seiner Jugend und Schönheit, und jetzt liegt er im Laugenbad… mein Sohn, mein innigst geliebter Sohn… der letzte meiner Söhne.«
»Nein, nein, du hast ja noch deinen guten Yahmose.«
»Wie lange noch? Nein, auch er ist verdammt. Wir sind alle verdammt. Was für ein Übel ist über uns gekommen? Wie hätte ich wissen sollen, dass solche Dinge geschehen würden, als ich mir wieder ein Weib nahm? Das ist recht und billig, ist nach den menschlichen und göttlichen Gesetzen erlaubt. Warum musste uns trotzdem all dies widerfahren? Oder ist es Ashayet, die sich an mir rächt? Verzeiht sie mir etwa nicht? Auf meine Bittschrift hat sie entschieden nicht geantwortet. Das Böse setzt sich fort.«
»Nein, nein, sag das nicht, Imhotep. Es ist erst kurze Zeit vergangen, seit du die Schale in der Opferkammer niedergesetzt hast. Wenn man bedenkt, wie lange es dauert, bis das Gesetz sich in dieser Welt auswirkt… Gerechtigkeit bleibt Gerechtigkeit, in dieser Welt wie in der nächsten, und was lange währt, wird endlich gut.«
Imhotep schüttelte zweifelnd den Kopf.
»Du darfst auch nicht vergessen, dass Ipy nicht Ashayets Sohn war«, fuhr Henet fort, »er wurde dir von deiner Schwester und Gattin Ankh geschenkt. Warum sollte Ashayet sich also seiner annehmen? Mit Yahmose wird es anders sein – er wird genesen, weil Ashayet dafür sorgen wird.«
»Ich muss zugeben, dass deine Worte mich trösten, Henet. Was du sagst, hat Sinn. Wahrhaftig, Yahmose erholt sich mit jedem Tag. Er ist ein guter, treuer Sohn, aber wehe über meinen Ipy! So klug, so schön!« Imhotep stöhnte.
»Ach! Ach!«, klagte Henet mitfühlend.
»Dieses verfluchte Weib mit seiner Schönheit! Hätten meine Augen sie doch nie erblickt!«
»Ja, wirklich, teurer Herr. Eine Tochter Seths, fürwahr. Eine Meisterin der bösen Magie, daran ist nicht zu zweifeln.«
Ein Stock stieß auf den Boden, und Esa kam in die Halle gehumpelt. Sie schnaubte verächtlich.
»Besitzt denn niemand in diesem Haus Vernunft? Hast du nichts anderes zu tun, als eine unglückliche Frau zu schmähen, die sich zu Lebzeiten gegen das dumme Betragen der dummen Weiber deiner dummen Söhne wehrte und etwas Bosheit entwickelte?«
»Etwas Bosheit nennst du das, Esa? Wenn mir zwei Söhne gestorben sind und der dritte dahinsiecht! Oh, dass meine Mutter so zu mir spricht!«
»Das scheint notwendig zu sein, da du die Tatsachen nicht erkennst. Lass endlich ab von diesem dummen Aberglauben, dass der Geist eines toten Weibes all dieses Übel bewirkt. Es war die Hand eines Lebenden, die Ipys Kopf unter Wasser drückte, so dass er ertrank, und die Hand eines
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