Raecher des Herzens
Rio. »Sie würden uns eine große Ehre erweisen.«
Der mexikanische Gesandte ging vor Rio her zu dem Tisch, an dem Caid wartete. Auch der Ire verbeugte sich höflich. Nach dem Austausch der üblichen Höflichkeitsfloskeln hob der Mexikaner mit großer Geste die langen Schöße seines Fracks an und ließ sich auf einem Stuhl nieder. »Vielen Dank für die freundliche Einladung«, sagte er. »Als Fremder fühlt man sich in dieser Stadt gelegentlich ein wenig verloren. Wieder einmal statt Französisch oder statt des barbarischen Englischs den melodiösen Klang meiner eigenen Sprache hören zu dürfen, erfreut meine Ohren. Aber Ihr Spanisch klingt nicht, als stammten Sie aus Madrid, Senor de Silva. Ich glaube einen Akzent ausmachen zu können, wie man ihn in der Gegend um Barcelona spricht.«
»Sie haben ein feines Gehör«, sagte Rio mit einem bestätigenden Nicken.
»Nur weil der Count de Lerida, den Sie sicherlich kennen, mir gesagt hat, dass er Katalane ist.«
»Wie geht es dem Grafen? Ich habe ihn in den letzten Tagen gar nicht mehr gesehen.« »Er befindet sich wohl. Männern wie ihm geht es selten anders.«
»Männern wie ihm?« Rio horchte auf. Er glaubte, einen ironischen Unterton aus der Stimme seines Gegenübers herausgehört zu haben.
»Sie sind kein intimer Freund des Grafen?«
»Ganz und gar nicht.«
»Ich möchte niemandem zu nahe treten. Genau genommen sollte ich schweigen, aber ich ärgere mich zu sehr. Ich habe de Lerida heute Morgen schon getroffen, müssen Sie wissen.«
»In seinem Hotel? Sagen Sie, war Denys Vallier zufällig auch anwesend?«
»Sie sprechen vom Bruder der bezaubernden Mademoiselle Vallier, die der Graf zu ehelichen gedenkt? Ich bedaure, ich habe ihn nicht gesehen. Der Graf wollte unter vier Augen mit mir sprechen.«
Etwas anderes hatte Rio nicht erwartet. »Aber die Unterredung verlief nicht zu Ihrer Zufriedenheit?«
»Ich habe ihn nur aus Rücksicht auf meine Position als Gesandter meines Heimatlandes nicht herausgefordert!«
»Dann muss er Sie wirklich entsetzlich brüskiert haben.« Deutlicher konnte Rio nicht ausdrücken, dass er sich für die näheren Einzelheiten der Auseinandersetzung interessierte. Ungeduldig wartete er auf eine Antwort des Gesandten.
»So ist es. So viel Habgier und mangelnde Loyalität sind mir selten untergekommen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Ich verstehe.«
»Ich dachte mir schon, dass wir ähnliche Ansichten haben. Und ich weiß auch, dass wir ein gemeinsames Interesse haben.«
Rio hob eine Augenbraue. »Das Streben nach Vollkommenheit im Umgang mit dem Degen?«
»Nein, nein, mein Freund. Ich spreche von der mexikanischen Vorherrschaft westlich des Sabine River. In Ihren Adem fließt das Blut des ruhmreichen spanischen Königreiches. Schon allein deshalb müssen Ihnen die mexikanischen Interessen am Herzen liegen.«
»Schon möglich«, antwortete Rio ausweichend. Ein gewisses Verständnis für die Bestrebungen der Mexikaner war eine Sache, sie zu unterstützen eine ganz andere.
Caid, der bis zu diesem Augenblick geschwiegen hatte, stieß ein schnaubendes Geräusch aus.
»Die Vereinigten Staaten sind ein so ehrgeiziges junges Land, finden Sie nicht, Sir?«, sagte der mexikanische Gesandte lächelnd zu dem Iren.
»Aye, und dabei nicht zimperlich. Aber auch recht stark.«
»Das muss an den hochgesteckten Hoffnungen und an der Tatkraft seiner Bürger liegen. Anders kann es kaum sein. Aber das Alter und die Erfahrung werden sich letztlich immer gegen das Ungestüm der Jugend durchsetzen.«
Der Ober brachte dem Mexikaner etwas zu trinken. Caid erhob sich und warf ein paar Münzen auf den Tisch. »Sie müssen mich entschuldigen, Gentlemen. Aber mir ist gerade eingefallen, dass ich noch etwas Dringendes zu erledigen habe.« Er setzte seinen Hut auf und legte als Abschiedsgruß einen Finger an die Krempe. »Es war mir ein Vergnügen, Senor. Wenn es dir recht ist, Rio, bin ich in einer Stunde bei dir im Studio.«
Rio wusste nichts von einer Erledigung, die keinen Aufschub duldete. Er nahm an, dass Caid andere Gründe hatte, das Lokal so überstürzt zu verlassen. Vielleicht missfiel ihm das Thema der Unterhaltung - oder er vermutete, dass der Mexikaner offener sprechen würde, wenn er mit Rio allein war. Und tatsächlich, kaum war Caid zur Tür hinaus, da rückte der Gesandte schon seinen Stuhl ein wenig näher an Rio heran und senkte die Stimme.
»Ich bin froh, dass wir uns nun ungestört unterhalten können, Senor de Silva. Mir
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