Raecher des Herzens
los, als ein Dampfschiff in der Flussbiegung verschwindet.«
»Ich werde daran denken«, sagte Rio gereizt.
»Und dann trotzdem tun, wozu es dich drängt? Nein, vergiss, was ich gesagt habe. So töricht bist nicht einmal du.«
Rio musterte Caid mit forschendem Blick, aber bevor er etwas erwidern konnte, meldete sich Titi zu Wort. »Sollten wir nicht auf den guten Ausgang des Duells trinken? Ich jedenfalls wäre nicht abgeneigt.«
»Wir könnten auch ein Frühstück vertragen«, bestätigte Caid. »Wohin gehen wir?«
Jeder, der im Vieux Carre lebte, wo Essen und Trinken seit jeher wie Künste gepflegt wurden, hätte die Wichtigkeit dieser Frage verstanden. Man diskutierte verschiedene Möglichkeiten und entschied sich schließlich für das St. Louis M erchant’s Exchange and Hotel. Im Restaurant des Hauses kochte der unvergleichliche Alvarez. Außerdem konnte man von dort auf die Rue Saint-Louis und auf den Eingang der Passage de la
Bourse hinaussehen. Die Fechtstudios lagen nur wenige Schritte entfernt, und bald würden die Schüler dort in Scharen einfallen.
The Exchange erinnerte selbst zu dieser frühen Stunde bereits an einen Bienenstock. James Hewlett hatte das Handelshaus vor etwa vier Jahren eröffnet und die Geschäfte des alten Maspero aus der Rue Chartres übernommen. Inzwischen galt Hewletts Etablissement als die erste Adresse der Stadt, wo man Geschäfte tätigen, sich sehen lassen und gesehen werden konnte. Im Erdgeschoss des prunkvollen Baus befanden sich das Restaurant und eine Bar. Im ersten Stock wurde Handel getrieben, es gab luxuriöse Gästezimmer mit insgesamt über zweihundert Betten und zwei großartige Ballsäle. Über diesem, nach oben offenem Stockwerk wölbte sich eine gewaltige Kuppel, die der Architekt Charles Bingley Dakin nach dem Vorbild eines Athener Tempels entworfen hatte. Als »Laterne des Diogenes< bekannt, bot die imposante Dachkonstruktion, die jedes Geräusch als Echo zurückwarf, das passende Ambiente für die Geschäfte, die darunter getätigt wurden. In dem weiten Raum, den sie überspannte, wurden Dampfschiffe ebenso versteigert wie Stadthäuser und Grundstücke, Plantagen, Pferde oder Rinderherden. An Samstagen fand hier sogar ein Sklavenmarkt statt.
Betörende Duftschwaden von Kaffee und Zuckergebäck umwogten die Männer, während sie sich zu ihrem Lieblingstisch in der Ecke durcharbeiteten. Bald standen drei Tassen des dampfenden Gebräus mit viel Milch und einem Schuss Branntwein vor ihnen, außerdem eine große Platte mit süßem Gebäck.
Immer wieder wurden die Fechtmeister von Stammgästen ihrer Studios oder von Privatschülern gegrüßt. Sie selbst nickten den anderen Maitres zu, die im Restaurant die Runde machten. Unter ihnen war auch Nicholas Pasquale. Er war noch recht neu in der Stadt und hatte von den anderen Mahres d’Armes den Spitznamen La Roche, der Fels, verpasst bekommen, denn er rührte sich beim Fechten kaum je von der Stelle. Als Jose Llulla, genannt Pepe, das Restaurant betrat, konnten sich die Freunde eines ironischen Grinsens nicht erwehren. Pepe war wie immer von einer Schar Anhänger umringt, die genau wie ihr schweigsamer, aber doch tödlich präziser Meister lange dünne Schnurrbärte trugen, deren Spitzen ihnen bis weit unters Kinn reichten. Niemand wusste, wie viele Männer Llulla auf dem Feld der Ehre niedergestochen hatte. Aber ein makaberer Witz besagte, dass er mit seinen Opfern einen eigenen Friedhof füllen konnte.
Der Vorschlag, dass alle Fechtmeister der Passage einmal in einem Turnier gegeneinander antreten sollten, stammte von Pepe. Diese Vorführung war dazu gedacht, die vielen einzelnen Schaukämpfe abzulösen, die nur dem Zweck dienten, neue Kunden zu werben. Noch war man sich nicht einig, ob das Turnier tatsächlich stattfinden sollte. Einige besonders beflissene Fechter verlangten, jeder Teilnehmer müsse das Zertifikat einer renommierten Akademie vorlegen können. Andere wiesen zu Recht darauf hin, dass dies nur ein Versuch war, Pepe und einige andere Fechtmeister, die ein solches Papier nicht vorweisen konnten, endgültig auszubooten. Ob man sich je einigen würde, stand noch in den Sternen.
Rio wusste, dass sich Pepe zu ihnen gesellen würde, sobald er sie entdeckte. Da der dünne, stets melancholisch dreinblickende Fechter von den Balearen stammte, betrachtete er Rio und sich als Landsleute. Die beiden hatten sich angefreundet, soweit das für Konkurrenten möglich war. Vom anderen Ende des Restaurants her
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