Raecher des Herzens
das?«
»Jemand? Es sind insgesamt vier!« Denys hob die unverletzte Hand und zählte an den Fingern ab. »Der Erste sicherte sich seine Verabredung schon am Vormittag, zwei forderten ihn am Nachmittag heraus und der Letzte irgendwann am frühen Abend. Vier Narren, die sich rühmen möchten, ihn besiegt zu haben.«
»Das kann nicht dein Ernst sein!«
»Es ist aber wahr. Den ganzen Abend sprach man von nichts anderem.«
»Aber warum um alles in der Welt hat er so viele Herausforderungen akzeptiert?«
»Er hatte keine andere Wahl. Sein Ruf als Maitre d’Armes steht auf dem Spiel. Er wird sich morgen bei Tagesanbruch allen vier Kontrahenten stellen.«
Vier Duelle. Vier Verabredungen auf dem Feld der Ehre standen Rio nun bevor, weil er Celinas Bitte gefolgt war und ihren Bruder milde behandelt hatte.
Vier Duelle, und er hatte kein einziges Wort darüber verloren. Wenn der Tag über der Stadt und den Eichen von Allard anbrach, würde sich Rio mit einem seiner ehrgeizigen Herausforderer nach dem anderen messen. Ein oder zwei von ihnen mochten übermütig gewordene Amateure sein, aber es war durchaus möglich, dass sich unter den vieren auch ein Könner, vielleicht sogar ein anderer Fechtmeister befand. Was immer am nächsten Morgen geschehen würde, Celina gab sich die Schuld dafür.
Nachdem ihr Bruder zu Bett gegangen war, stand sie auf, entfernte das Seidenband von der Rose, schnitt den Stängel frisch an und stellte die Blume ins Wasser. Sanft strich sie mit den Fingerspitzen über die Blütenblätter. Wie seltsam, dass Rio die Rose ohne ein Wort zurück-gelassen hatte.
Aber vielleicht tat er das immer, wenn er eine Dame besuchte. Sie kannte diesen Mann, dem sie erlaubt hatte, sie in ihrem Schlafzimmer aufzusuchen, ja kaum.
Nie würde sie es sich verzeihen, wenn er durch ihre Schuld verletzt oder gar getötet wurde. Mit Rios Herausforderern hatte Celina kein Mitleid. Gegen Dummheit war schließlich kein Kraut gewachsen. Aber Rio hatte ihr bei ihrem Besuch in seinen Räumlichkeiten erklärt, was geschehen würde, wenn er Denys verschonte. Sie hatte ihm nicht geglaubt.
Celina ging unruhig auf und ah. Das lange Nachthemd umspielte ihre Knöchel, das offene Haar floss über ihre Schultern wie ein glänzendes Cape. Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, die Duelle zu verhindern! Aber so sehr sie sich auch den Kopf zerbrach, eine Lösung für dieses neue Problem wollte sich nicht zeigen. Hier ging es um männlichen Stolz und männliches Ehrgefühl.
Der Silberne Schatten musste siegen. Celina weigerte sich, einen anderen Ausgang der Duelle auch nur in Betracht zu ziehen.
Aber was dann?
Würde er noch einmal zu ihr kommen?
Denys’ unverhoffte Rückkehr hatte dafür gesorgt, dass sie dem Fechtmeister den Lohn für die Schonung ihres Bruders noch immer schuldig war. Aber nicht jede Nacht würde Denys gerade im rechten Augenblick nach Hause kommen. Celina bedauerte das abrupte Ende von Rios Besuch beinahe. Das intime Zusammensein, zu dem sie sich bereit erklärt hatte, wäre nun längst vorüber und sie hätte bereits versuchen können, es aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Sie bräuchte sich nicht länger darüber den Kopf zu zerbrechen und Rios Ärger über die vier Duelle im Morgengrauen nicht zu fürchten.
Während seines Besuchs hatte sie allerdings nicht den Eindruck gewonnen, dass er ihr böse war. Mit keiner Silbe hatte er erwähnt, was ihn am nächsten Morgen erwartete. Das zeugte von großer Kaltblütigkeit. Oder von großem Feingefühl. Celina wusste nicht, welche der beiden Möglichkeiten sie beunruhigender finden sollte.
Rio war zu ihr gekommen, wie er es angekündigt hatte. Das Risiko, das er einging, indem er in ihr Schlafzimmer einstieg, war unkalkulierbar gewesen. Ihr Vater und ihr Bruder hätten jedes Recht gehabt, ihn im Falle einer Entdeckung auf der Stelle zu töten. Wenn ein Nachtwächter ihn beobachtet hätte, wäre er womöglich im Gefängnis gelandet. Und falls ein Nachbar die Fassadenkletterei bemerkt hätte, wäre ihr Ruf für alle Zeiten ruiniert gewesen. Der Gedanke, dass Rio sie noch einmal besuchen könnte, ließ Celina erschauern. Sie zweifelte nicht daran, dass er dazu imstande war.
Seufzend legte sie sich wieder ins Bett und starrte auf den Fensterladen an der Balkontür. Dass Rio, wenn es ihm beliebte, jederzeit zurückkommen konnte, verursachte ihr ein seltsames Gefühl im Magen. Angst war nur ein Teil davon.
Der Silberne Schatten hatte eine geradezu übermächtige männliche
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