Raecher des Herzens
Hinterkopf zu schaffen und versuchte, ihr Gesicht so zu drehen, dass er sie mit seinem nassen Mund erreichen konnte. Atemlos versuchte Celina, sich dem Grafen zu entwinden, während Abscheu und Ekel sie zu überwältigen drohten. Das Geräusch einer reißenden Naht an der Schulter ihres Kleides versetzte sie endgültig in Angst und Schrecken.
Der Graf musste ihr Handgelenk loslassen, das zwischen ihnen eingeklemmt war, denn er wollte sich ei-nen besseren Halt verschaffen. Aber sobald Celina die Hand frei bekam, schlug sie nach ihm. Sie hatte seine Augen im Visier und zog ihm die Nägel durchs Gesicht. Er schrie auf und kam ins Straucheln.
Celina riss sich vollends los und beeilte sich, den Abstand zu ihm zu vergrößern. Der Graf hob die Hand ans Gesicht, berührte die Kratzer und betrachtete dann das Blut an seinen Fingerspitzen. Die Leidenschaft, die gerade noch in seinen Augen gebrannt hatte, wich einer ebenso versengenden Wut. Als er nun auf Celina zukam, erinnerte er sie an einen angriffslustigen Stier.
»Celina!«, schallte Tante Marie Roses Stimme ein wenig atemlos von der Tür her. »Ich bin bei dir, ma chere.« Mit steifen Schritten kam sie näher. »Graf de Lerida, als Frau des Hauses bin ich schockiert. Zudringlichkeiten, wie ich sie soeben mit ansehen musste, sind hier nicht erwünscht. Celinas Vater mag dieses schamlose Verhalten dulden, ich mit Sicherheit nicht!«
»Meine liebe Dame ...«, begann der Graf.
»Nein, Monsieur. Keine Ausflüchte, bitte. Noch sind Sie nicht der Gatte meiner Nichte. Wenn Sie sich nicht zurückhalten können, müssen Sie das Haus auf der Stelle verlassen.«
Noch immer war das Gesicht des Grafen fleckig vor Wut, doch offenbar wusste er, wann er den Rückzug antreten musste. »Vergeben Sie mir, Madame, Mademoiselle«, sagte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Ich habe mich einen Augenblick lang vergessen.«
Die Tante wandte sich nach ihrer Nichte um. »Celina?«
»Ja, Tante«, antwortete sie mit zitternder Stimme. Sie presste sich die Hand auf die Stelle unter der Brust, wo sie noch spüren konnte, wie sehr ihre Nerven flatterten. »Ich glaube, es ist am besten, wenn sich der Graf jetzt verabschiedet.«
Die Tante sah den Grafen an, der noch immer nicht zu Atem gekommen war. »Es tut mir Leid, Monsieur, aber wir müssen nun auf Ihre Gesellschaft verzichten. Wenn Sie gegangen sind, werde ich versuchen herauszufinden, ob noch eine Hoffnung besteht, dass Ihr Antrag angenommen wird.«
»Dafür wäre ich Ihnen zutiefst verbunden«, presste der Graf nicht ohne Sarkasmus hervor. »Stets zu Diensten, Madame.« Dann drehte er sich zu Celina um und verneigte sich steif. »Auf immer Ihr treuer Diener, Mademoiselle.«
Celina und die Tante beobachteten stumm, wie er davonstapfte. Seine schweren Schritte hallten über die Galerie und dann vom Hof herauf. Noch bevor sie verklungen waren, breitete die Tante die Arme aus und drückte Celina an ihre Brust.
»Dem Himmel sei Dank, dass du zur rechten Zeit gekommen bist«, sagte Celina voller Inbrunst. Erleichtert lehnte sie sich an die ältere Frau.
»Wie kommt dieser Mann dazu, zu denken, ein solches Verhalten würde in diesem Haus geduldet werden?«
»Das liegt an seinem übersteigerten Selbstvertrauen, glaube ich. Er bildet sich sehr viel auf seinen Titel ein. Aber das ist jetzt einerlei. Du warst großartig, ma chere tunte. Es war beeindruckend, wie du ihm die Leviten gelesen hast.«
»Ja, ich bin selbst ganz erstaunt. Aber ich konnte dich doch nicht noch einmal im Stich lassen.« Die Tante ließ ein zittriges Seufzen hören. »Du bist doch mein kleines Küken, Celina. Kein Mann soll sich an dir vergreifen, solange ich lebe. Auch nicht, wenn er dein Verlobter ist und ein Adeliger obendrein. Es erfüllt mich mit Abscheu, dass du eine solche Beleidigung hinnehmen musstest.«
Einen Moment lang musste Celina an eine andere Umarmung denken, die ebenfalls noch nicht lange zurücklag. Die wenigen Augenblicke in Rio de Silvas Armen und die Berührung seines Mundes waren ihr überhaupt nicht widerwärtig gewesen. Anders als die Tante gesagt hatte, waren wohl doch nicht alle Umarmungen gleich. Und es kam auch nicht darauf an, ob sie im Dunkeln oder am hellen Tag stattfanden. Ein Schauer lief Celina über den Rücken.
»Ach meine Liebe, ich wusste, dass du viel erschrockener bist, als es den Anschein hat«, sagte ihre Tante und drückte Celina noch einmal fest an sich.
Celina spürte die Hoffnung in sich aufgehen wie Hefe,
Weitere Kostenlose Bücher