Rächerin der Engel
es seinem Kollegen auf der anderen Seite mitzuteilen. Zumindest ist das im Staat Georgia so.« Bree dachte kurz nach. »Und auf Bundesebene verhält es sich genauso. Ich hoffe, das gilt auch für das himmlische Rechtssystem.«
»Gewiss.« Cianquino runzelte die Stirn. »Haben sie denn Genaueres verlauten lassen?«
»Ich bin davon ausgegangen, dass die Pendergasts wieder einmal dahinterstecken«, sagte Bree. »Deshalb bin ich natürlich froh, dass Miles und Bellum zurückgekommen sind.« Sie machte eine Pause. Dann brachte sie eine Sache zur Sprache, die ihr seit ihrer Begegnung mit Beazley und Caldecott keine Ruhe mehr ließ. »Beaufort & Compagnie sind auf Verteidigung spezialisiert, stimmt’s? Ich meine, ich bin eine Art himmlische Pflichtverteidigerin.«
»Himmlisch«, sinnierte Ron. Vor ihm lag ein Stapel Bücher, und er tippte auf den obersten Band, eine Ausgabe der Thora. Darunter befand sich die King-James-Bibel, darunter wiederum der Koran.
»Mir ist klar, dass Beaufort & Compagnie religionsübergreifend orientiert sind«, sagte Bree. »Aber ich frage mich, warum die Anklage nicht auch einen irdischen Advokaten hat.«
»Ach du liebe Zeit«, erwiderte Ron. »Natürlich hat sie das. Beazley und Caldecott sind Menschen, Bree.«
Petru grinste sie an. Durch seinen schwarzen Bart wirkten seine Zähne sehr weiß. »Zumindest waren sie es mal.«
»Sie waren es mal?«, fragte Bree. Plötzlich kam es ihr sehr kalt im Zimmer vor. Sie rieb sich die Arme. »Was soll das heißen? Sie waren mal Menschen. Ich bin auch ein Mensch. Werde ich mich ebenfalls verwandeln?«
» Bibamus, moriendum est «, kreischte Archie.
»Halt den Schnabel«, schimpfte Lavinia.
»Biba-was?«, fragte Bree. Sie war mit Hängen und Würgen durch ihre Lateinprüfung gekommen, hatte inzwischen aber alles vergessen. Das Einzige, woran sie sich noch erinnerte, war die Konjugation von errare , sich irren.
»Der Tod ist unvermeidlich, darum lasst uns einen trinken«, übersetzte Professor Cianquino. »Dafür dürfte es aber noch ein wenig früh am Tage sein«, fügte er lächelnd hinzu.
Brees Handy summte, eine SMS war eingetroffen. Sie holte es heraus und las:
Dienstag 7 Uhr morgens Untersuchung
Dr. Lowry Ärztehaus Tonia
Bree steckte das Handy wieder weg. »Zu früh für einen Drink? Warum denn das?« Der Professor hatte immer eine Flasche Wein in der kleinen Hausbar unten in seinem Bücherschrank. »Ich glaube, bevor ich gehe, hätte ich gern ein kleines Glas Wein.« Waren mal Menschen? Was zum Teufel hieß denn das? »Oder vielleicht eher ein großes Glas Wein.«
What is the good of the strongest heart
In a body that’s falling apart?
A serious flaw – I hope you know that.
Tim Rice, »Waltz for Eva and Che«, Evita
»Sie haben etwa fünf Pfund von Ihrem bisherigen Gewicht verloren«, sagte Dr. Lowry am Dienstagmorgen. Es war zwar erfreulich, dass Antonia Bree so schnell einen Termin hatte besorgen können, aber es war doch noch verdammt früh. Noch nicht mal halb acht. »Alles andere scheint bestens in Ordnung zu sein.«
»Ich komme mir ziemlich blöd vor«, sagte Bree. »Weil ich zu Ihnen gekommen bin, meine ich. Ich fühle mich nämlich rundum wohl.«
Dr. Lowry erwiderte nichts, sondern hämmerte auf die Tastatur ein und starrte konzentriert auf den Bildschirm, um den FRAGEBOGEN FÜR NEUE PATIENTEN auszufüllen.
»Die Sache ist die, dass meine kleine Schwester mir wegen des Gewichtsverlusts und wegen meiner Schlafstörungen in den Ohren gelegen und mich gemeinsam mit meiner Tante Cissy praktisch zu Ihnen gejagt hat.«
»Haben Sie vielleicht irgendwelche Ängste?«, fiel Dr. Lowry ihr zerstreut ins Wort. Sie war ein wenig älter als Bree und sehr mager. Sie trug eine große Hornbrille, die ihr ein leicht eulenhaftes Aussehen verlieh. »Oder Depressionen?«
»Nein«, erwiderte Bree unwirsch.
Dr. Lowry gab ein nein in den Computer ein und lehnte sich zurück. »Sie sind hervorragend in Form. Wie sieht Ihr Fitnessprogramm aus?«
»Mein Fitnessprogramm?« Bree machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Ich jogge mehrmals in der Woche am Fluss entlang. Das ist alles.«
»Erstaunlich.« Dr. Lowry schüttelte den Kopf. »Ihr Blutdruck ist neunzig zu achtzig. Beim Ruhe- EKG beträgt Ihre Herzfrequenz fünfundsechzig, beim Belastungs- EKG nach zwanzig Minuten Strampeln achtzig.« Sie musterte Bree voller Interesse. »Ich kenne Profi-Basketballspieler, die schlechtere Werte haben.«
»Tja«, meinte Bree.
»Sind Sie schon immer
Weitere Kostenlose Bücher