Rätsel des Nordens (Thenasia) (German Edition)
Tribunal bereits der Vergangenheit
angehört. In dieser Instanz sah er nämlich die Verkörperung der Unsitte des
zurückgelassenen wandernden Lebensstils. Masse zählte in dieser Versammlung
häufig mehr als Klasse. Dass beide Sphären übereinstimmten, war schon einige
Male vorgekommen, doch war es stets mühsam, Mehrheiten zu bekommen, wenngleich
es nicht an guten Argumenten mangelte. Jeder noch so einfältige Dummkopf konnte
in besonders wackeligen Momenten Vorteile für sich herauspressen. „Erst das
Haus, dann die anderen!“, schien die Devise Vieler zu sein.
Thormir erinnerte sich sehr gut
an eine Abstimmung vor einigen Jahren. Es wurde zu dieser Zeit beraten, wie die
Versorgung der wachsenden Stadtbevölkerung sichergestellt werden konnte, doch
statt sich dieser drängenden Frage anzunehmen, waren die Tribunalsmitglieder
eher darauf bedacht, sich untereinander auszustechen. Die Höfe, die für einen
besseren Nachschub an Nahrungsmitteln außerhalb Eisenhands errichtet werden
sollten, lagen recht günstig, sodass mit großen Ernten gerechnet werden konnte.
Eine Verlockung, die die Edelmänner sich auf die Gehöfte stürzen ließ, wie
Krähen auf totes Vieh. Unter keinen Umständen sollte ein anderer besser
gestellt werden oder mehr besitzen, als man selbst. Dabei wollte der königliche
Rat eine Geste der Freundschaft aussenden und mit der Verteilung des Besitzes
der Getreidehöfe das Tribunal am wachsenden Wohlstand des Königreichs teilhaben
lassen. Vier Tage lang konnten sich die Edelmänner nicht einigen! „Vergeudete
Zeit!“, wie der Kanzler dachte. „Und verschwendete Energie obendrein.“
Schlussendlich musste aufgrund der allgemeinen Unentschlossenheit die Krone,
also Regnir, die Führung der Anwesen übernehmen. Thormir hatte damals wutentbrannt
das Tribunal mit den Worten beendet, dass es sich um eine „Ansammlung von
Schafsköpfen“ handele, eine Äußerung, die ihm so mancher noch lange Zeit
nachgetragen hatte.
Ach! Wie gerne hätte der Kanzler
vor zehn Jahren diese Form der Eifersüchteleien zurückgelassen, doch sein Plan
war von dem urplötzlichen und eigentlich unlogischen Verlangen der Edelmänner
nach einem König durchkreuzt worden. Thormir hätte sonst Regnir zu einem
Fürsten ausrufen lassen. Das hätte zwar vermutlich die Menschen gespaltet, allerdings
wären die Getreuen eine wesentlich stärkere Gemeinschaft gewesen. Insbesondere
die untere Schicht der Menschen, die Besitzlosen und die vom ewigen Umherziehen
Geplagten wusste der Magier bereits in jener Zeit auf seiner Seite. Sie wären
gewiss mit ihm und Regnir gekommen, denn sein ursprünglicher Plan sah vor, ein
Fürstentum mit Bürgern gleicher Rechte zu errichten und die Widerstrebenden
ziehen zu lassen, die sich dann mit Gharmon hätten herumschlagen müssen. Dazu
war es bekanntlich nicht gekommen und so hatten die Edelmänner ihren Status und
ihre Privilegien behalten können.
Im Grunde genommen fühlte Thormir
sich ihnen überhaupt nicht zugehörig, obwohl er es Kraft seiner Geburt hätte
tun müssen. Die Hauptlast der Menschen hatten bisher immer die Einfachen und
Gemeinen getragen. Sie waren es, die in letzter Instanz Gebäude bauten, Felder
bewirtschafteten und die Ernte einbrachten. Ja, sie waren es auch, die die
Masse der Soldaten stellten, wenn es zu Kriegen kam. Die Häuser der Edelmänner
waren hingegen nicht selten ein Rudiment der Geschichte, deren Ruhm ihre
Vorfahren erworben hatten und der längst erloschen war.
Gharmon war der Schlimmste
gewesen, der unter dem Deckmantel der Heuchelei und der Anbetung der
Vergangenheit seine mangelnden Fähigkeiten stets zu verstecken gesucht hatte,
was zu oft sogar gelungen war. „Ein Glück, dass dieser Stachel im Fleische der
Menschen uns von sich selbst erlöst hat“, dachte Thormir, als der rundlich Mann
unter großem Getöse und nach öffentlichen Ankündigungen die Stadt mit den
Seinen verlassen hatte. Niemand vermisste ihn so recht, noch war sein Weggang
ein großer Verlust gewesen. Er hatte eine Lücke hinterlassen, die so winzig
war, dass sie nicht bemerkt wurde. Einen kleinen Triumph hatte der Kanzler aber
noch gefeiert. Am Tag des Abgangs hatte er einen speziellen Erlass bekannt
gegeben, durch welchen die Knechte Gharmons in die Freiheit entlassen wurden.
Ein Angebot, das diese sehr gern angenommen hatten.
Natürlich wollte Thormir nicht
ungerecht sein: Unter den Edelmännern befand sich in der Tat so mancher, der
den Titel wirklich verdiente. So zum Beispiel
Weitere Kostenlose Bücher