Rätsel des Nordens (Thenasia) (German Edition)
gelegt werden und diese heilen, selbst wenn Gift im Spiel
war. Ein sorgfältig gekochter Sud konnte jede Zunge lösen und ein unter
Vollmondlicht dreifach destillierter Trank hob jeden Fluch auf.
Ambalus galt in den Augen der
Alchemisten als die Königin der Pflanzenwelt. Noch immer schaute Thormir
ungläubig kniend auf das Gewächs und wog die Blätter sanft in seinen Händen. Er
hatte einen Schatz gefunden, keine Frage. Ob er versuchen sollte, dieses
einzigartige Kraut auszugraben, fragte sich der Kanzler, denn um es einfach
stehen zu lassen, dazu war es schlicht und ergreifend zu wertvoll. Der Magier
kramte in einer kleinen Tasche, die ihm zur linken Seite hing und zog aus ihr
eine feine Klinge und einen Lederbeutel heraus. Letzteren befüllte er hastig
mit etwas Erde des Ufers. Danach leerte Thormir seine Wasserflasche und
befüllte sie mit dem eiskalten Wasser des Waldteichs. Die Wellen, die von dem
Behältnis ausgesendet wurden, mischten den silbrigen Hauch über dem See auf,
der von der Oberfläche aufzusteigen schien. Zuletzt stach er mit seinem Dolch
tief in das Erdreich neben der Ambaluspflanze, damit auf gar keinen Fall ihre
dünnen durchsichtigen Wurzeln beschädigt wurden. Behutsam grub der Magier das
Gewächs aus, doch nachdem er es in seiner Tasche verstaut hatte, begann der
Himmel urplötzlich zu grollen und der silberne Schleier verzog sich. Schwarze
Wolken zogen auf, der zuvor so bemerkenswert dunkelgrün schimmernde Ring aus
Bäumen hüllte sich in ein tiefes Dunkel und der Boden erzitterte unter Thormirs
Füßen.
Da bemerkte der Kanzler, dass er
einen schweren Fehler begangen hatte, und pflanzte das Ambaluskraut schleunigst
zurück in den Boden. Lediglich einen Teil des Wurzelwerks behielt er, um einen
kleinen Sprössling in seinem Gemach heranzuziehen. Thormir stand auf und
entfernte sich etwa zwanzig Schritte weit von dem Teich im Forst. Das Baumrund
erstrahlte erneut im kräftigen Dunkelgrün und der silbrige Schleier legte sich nochmals
über Wasser und Moos. Die dunklen Wolken verzogen sich und rasch fielen abermals
Sonnenstrahlen durch das Blätterdach auf die Wasseroberfläche. Die
Ambaluspflanze ließ sich nicht anmerken, dass sie einen Teil ihres Wurzelstocks
eingebüßt hatte, und schimmerte wieder grünlich vor sich hin. Thormir erhob
beide Arme und sprach einige Worte des Friedens über dieses kleine Paradies im
Wald. Anschließend machte er kehrt und eilte nach Eisenhand zurück. Der Tag war
spät geworden und die Sonne neigte sich auf den Horizont, sodass die Bäume
lange Schatten warfen, als der Kanzler den Wald verließ. Zügig marschierte er
zur Stadt zurück, die sich in etwa drei Meilen Entfernung von der Umgebung
abzeichnete.
„Erstaunlich trutzig wirkt sie,
obwohl sie fast nur aus Holz gebaut wurde. Von außen sieht man das Ergebnis von
zehn Jahren Arbeit mehr, als es von innen je möglich wäre“, dachte der Alte,
bevor er das große Tor aus massiver Eiche durchschritt. Rasch begab er sich zu
seinem Gemach im hinteren Teil der Königshalle und pflanzte das Wurzelstück in
die mitgenommene Erde.
„Wenn mir das Ambaluskraut
erhalten bleiben soll, so wird es viel Pflege von mir erfahren müssen“, sagte
Thormir zu sich, der sich überhaupt nicht sicher war, ob der Sprössling
gedeihen würde.
Doch er gedeihte prächtig, auch
wenn Wochen vergingen, ehe die Pflanze das erste Blatt ausbildete. Die
Nachzucht erfüllte den Kanzler mit tiefem Stolz, allerdings hielt er mit
Ausnahme Regnirs seinen Schatz geheim und selbst diesen weihte er erst ein, nachdem
er weitere Zöglinge gewonnen hatte. Der König kannte das Kraut ausschließlich aus
den Erzählungen seines alternden Mentors und hatte es als junger Mann als wilde
Fantasie abgetan. Dass eine einzige Pflanze so mächtig sein sollte, hatte er
sich nie vorstellen können. Thormir aber lachte eines Abends schelmisch:
„Siehst du. Ich hatte es dir
gesagt.“
„Ja …“, erwiderte Regnir
nachdenklich. „Was möchtest du mit dem Gewächs jetzt anstellen? Soweit ich
weiß, haben wir außer ein paar Strauchdieben niemandem im Kerker und denen, die
wir haben, können wir gewiss keine Geheimnisse abluchsen.“
„In der Tat“, entgegnete Thormir
steif. Er war leicht enttäuscht, dass „sein Junge“ sich nicht so recht für
diese wundersame Pflanze begeistern mochte. „Ich werde sie züchten, um für alle
Fälle einen Vorrat zu haben. Sollte es zum Krieg kommen, können uns ihre
Blätter sehr hilfreich sein. Wer weiß,
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