Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Anne Loop von der Polizei.«
»Was kann iesch tun für Sie?«, fragte der Mann, dessen wahrer Name Jules Trufot lautete.
»Ich habe hier eine Frau, die im Seniorenheim arbeitet. Sie sagt, dass der ältere Herr, der von Ihnen festgehalten wird, krank ist und Medikamente braucht.«
»Sie meinen Didi?«
»Ich meine Herrn Gräber«, sagte Anne bestimmt.
»Ja, das ist die Didi. Ihm geht es gut«, erläuterte der Bankräuber. »Er ’at siesch uns geschlossen an und ist auch eine Anonymous Bankräubör jetzt.«
»Herr Gräber ist dement, also …« Anne zögerte, denn sie war sich nicht sicher, ob man das so sagen konnte, aber hier ging es um Menschenleben, und da durfte man durchaus einmal drastisch werden. Anne sagte also: »… Herr Gräber ist verrückt. Und außerdem noch herzkrank.«
»Und schlaganfallgefährdet«, flüsterte die Pflegerin.
»Und schlaganfallgefährdet«, wiederholte Anne laut.
»Die Didi geht es gut. Wir ’aben ihm sogar genommen ab die Fesseln. Er ist eine Freund.« Anne verdrehte die Augen. Was die jungen Leute heute nicht alles unter Freundschaft verstanden! »Und er ist nützliesch«, fuhr Jules fort. »Denn als Exgeheimagent, er ’at viele Erfahrung und gutö Idee. Er kennt Arbeit von Polizei. Er sagt, Sie sollen jetzt bald rücken ’eraus die Schlüssel von Tresor, sonst er startet nächste Stufö.«
»Und was soll diese nächste Stufe sein?«
»Er wird jemanden töten. À la Geheimdienst-Art.«
Anne schluckte. Wurde sie hier jetzt grandios verarscht, oder meinte der Knabe am anderen Ende der Leitung das ernst? »Sie werden doch nicht einen alten Mann zu einem Verbrechen zwingen?«
»Wir sind die Gutön, Frau Polizist, wir sind die neunundneunzig. Pfüate Sie Gott.« Dann legte er auf.
»›Pfüate Sie Gott‹!« Anne konnte es nicht fassen.
»Was?«, fragte Kastner.
»Die haben einen Schlag.« Anne tippte wütend auf die Computertastatur ein.
»Und unser Herr Gräber?« Die Pflegerin war den Tränen nahe.
»Und Ihr feiner Herr Gräber war früher mal Geheimagent, Sie wissen schon: BND.« Anne blickte die Frau böse an.
»Was war unser Herr Gräber?«
»Beim Bundesnachrichtendienst«, erläuterte Kastner.
»Quatsch, beim Finanzamt war unser Herr Gräber. Über dreißig Jahre, soweit ich weiß.«
»Gut, das werden wir schon noch herausfinden. Jedenfalls hat er den Geiselnehmern versprochen, er werde demnächst jemanden ›à la Geheimdienst-Art‹«, Annes Stimme bekam einen sarkastischen Unterton, »umbringen. Was auch immer das heißen mag. Na ja, das können wir ja gleich mal im Internet nachschauen.« Sie tippte ›Tötung nach Geheimdienst-Art‹ in die Suchmaschine, doch was da kam, half in diesem Fall nicht weiter: ein Artikel über eine Verschwörungstheorie zum Anschlag auf das World Trade Center am elften September zweitausendeins, die Inhaltsangabe zu einem amerikanischen Film namens »Mord nach Plan«, ein Blog zur Diskussion um das umstrittene Israel-Gedicht eines deutschen Literaturnobelpreisträgers und ein Bericht über Hinrichtungen im Iran.
Auch die weiteren Nachforschungen über die früheren Tätigkeiten der offensichtlich am Stockholm-Syndrom leidenden dementen Geisel Dieter »Didi« Gräber erbrachten keine neuen Erkenntnisse. Über ihren Kripokollegen Schönwetter aus der Kreisstadt gelang es Anne sogar, eine Verbindung zum Bundesnachrichtendienst im nahe gelegenen Pullach zu knüpfen. Doch auch hier wollte niemand etwas von einem ehemaligen Agenten namens Dieter Gräber wissen, der jetzt achtundsiebzig Jahre alt war und als außer Kontrolle geratener Geiselnehmer Angst und Schrecken an einem Alpensee verbreitete.
»Kann natürlich sein, dass die uns anlügen«, meinte Sepp Kastner. »Der BND sagt sicher nicht immer die Wahrheit.«
»Auch nicht, wenn die Kripo anfragt?«, wandte Anne ein.
Kastner schüttelte den Kopf. »Der BND, das ist ein ganz merkwürdiger Verein. Die haben doch auch beim Verbotsverfahren gegen die NPD eine ziemlich seltsame Rolle gespielt.«
Anne blickte auf. »War es nicht sogar so, dass die Hälfte der Parteiführungskräfte BND-Leute waren?«
»Irgendwie so, ja.« Kastner nickte.
Die Altenpflegerin sah ungläubig von einem Beamten zum anderen. Doch dann jammerte sie: »Die große Politik und unser Herr Gräber mittendrin. Ist das nicht furchtbar?«
»Die alten Leut’ werden halt immer fitter«, stellte Kastner fest. »Selbst wenn sie dement sind. Das ist schon ein Problem für uns als Polizei. Weil so einen alten
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