Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
sie beide gerne Sport machten, er hatte gesagt, dass er Kinder möge, dass es mit einer Familie bislang bei ihm aber nicht geklappt habe. Dann war es schneller elf Uhr gewesen, als Anne lieb sein konnte – sie hatte nicht einmal ihre Gedanken über Roland Mascos Tod mit ihm bereden können, denn schon hatte Johann Bibertal gesagt, dass er sie jetzt nach Hause bringen werde, das kam wie auf Knopfdruck. Es war keine Frage und auch kein Angebot gewesen, sondern eine Ansage. Auf Annes überraschten Blick hin hatte er erklärt, dass er morgen eine wichtige Verhandlung habe und unbedingt ausgeschlafen sein müsse. Später, als er Anne vor dem kleinen Haus am See abgesetzt hatte, hatte er noch gesagt, der Abend habe ihm gefallen. Ob sie sich noch einmal treffen würden, hatte er aber nicht gesagt.
Anne war sich nicht sicher, ob er sie attraktiv fand. Sie ihn schon. Sofort hatte sie seine schönen Hände mit den feingliedrigen Fingern und gepflegten Fingernägeln wahrgenommen. Hätte sie also mit ihm geschlafen, wenn er eine Andeutung in diese Richtung gemacht hätte? Trotz ihrer Angst davor, verletzt zu werden? Hätte sie? Anne hatte ins Dunkel ihres Schlafzimmers gestarrt, während sie draußen die Blätter des großen Baums am Ufer in der nächtlichen Sommerluft rascheln gehört hatte. Sie hätte.
Hätte sie wirklich?
Sepp Kastner saß bereits in der Polizeihütte vor der Bankfiliale und surfte im Internet.
»Das gibt’s doch nicht!«, rief er aus, als Anne die Holztür aufschob. »Da hat schon wieder jemand Kameras hingeschraubt!«
»Wie?«, wollte Anne wissen. Sie hängte den Fahrradhelm auf und schob den Haargummi, mit dem sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, noch einmal zurecht, um sich dann auch dem Bildschirm zuzuwenden.
»Livebilder! Da sind schon wieder Livebilder! Ich frag mich, wie das geht! Haben denn die Kollegen, die hier nachts Dienst schieben, Tomaten auf den Augen, oder was?«
»Das gibt’s ja wirklich nicht.« Anne schüttelte den Kopf.
Im gleichen Moment rumpelte Kurt Nonnenmacher in die improvisierte Dienststube. »Was gibt’s nicht?«, fragte er grantig und erlegte mit einem Schlag seiner behaarten Pranke eine Fliege auf Kastners Schulter. Das Ergebnis verhieß Arbeit für Kastners alte Mutter: Ein Fleck, blutrot und schwarz. »Es gibt nix, was es nicht gibt.«
»Livebilder! Schon wieder Livebilder.« Kastner deutete auf den Bildschirm.
»Was?« Anne bemerkte, dass Nonnenmacher wie auf Knopfdruck zu schwitzen begann. »Sind da schon wieder so Kameras?«
»Ja.« Kastner nickte.
»Die müssen weg, sofort weg!« Der Dienststellenleiter war plötzlich ganz panisch. »Ist der GSG9-Depp schon da?«
»Nein«, antwortete Kastner.
»Dann bis gleich.« Schon schlug die Holztür hinter Nonnenmacher zu.
»Na, dass der Chef mal so aktiv ist, und das schon früh morgens …« Anne musste schmunzeln.
»Angstmotivation«, sagte Kastner. »Aber scheiße ist das trotzdem. Diese Anonymous-Fuzzis haben Unterstützer, und zwar mehr, als mir denken.«
Wie recht er damit hatte, sollten die Ermittler noch am selben Tag erfahren. Denn bereits am späten Vormittag lief ein Beitrag über die Anonymous Bankräuber im Bayerischen Fernsehen, auf CNN und sogar auf dem arabischen Sender Al Jazeera.
Nonnenmacher war fassungslos. Solange die Öffentlichkeitsarbeit der Geiselnehmer nur im Internet stattgefunden hatte, hatte er die ganze Angelegenheit nicht ganz ernst genommen. Gut, nach dem tödlichen Schuss gestern hatte die Sache schon eine andere Dimension erreicht. Doch wenn jetzt sogar etwas in den Nachrichten des Bayerischen Rundfunks lief, das wusste jeder im Freistaat, dann war es wichtig.
Wie der Dienststellenleiter erfuhr, wurde im Fernsehen auch ein Ausschnitt aus dem neuen Videoblog gezeigt, den die Frühlingsbankräuber ins Netz gestellt hatten. Anne spielte ihrem Vorgesetzten den kurzen Film vor, nachdem dieser wieder in die Operationszentrale zurückgekehrt war.
Das Videoblog begann mit Akkordeonmusik und den zentralen Versen des Lieds, das die Ermittler bereits kannten:
»Tango, Occupy Tango. Deine Wahrheit ist gegossen in Melodie: Wir sind die neunundneunzig, und ohne uns geht nichts und nie.«
Nach dem Lied verlasen Jules und Jorina – beide dieses Mal in weiße Leinenanzüge gekleidet – folgendes Statement:
Jorina: »Hallo, Welt.«
Jules: »Bonjour tout le monde!«
Jorina: »Wie ihr alle wisst, haben wir ’ne Bank überfallen.« Sie brachte den Revolver, mit dem
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