Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Deppen kann man natürlich mit einer lebenslangen Gefängnisstrafe nicht so richtig abschrecken. Der weiß ja, dass er eh nicht mehr lang lebt.«
»Also, Herr Wachtmeister!«, entfuhr es der Pflegerin. Kastner verzichtete darauf, der Dame zu erklären, dass es Wachtmeister nur mehr bei der Marine und beim Räuber Hotzenplotz gab. Wie oft hatte er das schon erklärt? Es war hoffnungslos. Und angesichts der Tatsache, dass der GSG9-Polizist Roland Masco eine halbe Stunde später den Verletzungen erlag, die ihm Dieter Gräber durch seinen Schuss zugefügt hatte, war es auch völlig belanglos. Die Geiselnahme hatte ihr erstes Todesopfer gefordert. Roland Masco, vierunddreißig Jahre, verheiratet, zwei Kinder, war an einem Oberschenkeldurchschuss verblutet. Die Ermittler waren erschüttert.
Als Anne von Roland Mascos Tod erfuhr, verließ sie die Operationszentrale, ging über die Straße, passierte den Bahnhof und lief durch die Wiesen zum See hinunter.
Eine Gruppe Enten stöberte im seichten Wasser nach Futter. Weiter drinnen im See verschwanden zwei Haubentaucher immer wieder für verrückt lange Zeit unter Wasser, um dann, wenn sie auftauchten, putzig ihre Köpfe mit den hochstehenden Federn zu schütteln. Anne musste unfreiwillig lächeln. Aus der rechten Tasche ihrer Uniformhose kramte sie ein Papiertaschentuch hervor und tupfte sich die Tränen von der Wange. »Roland Masco, dein Tod soll nicht umsonst gewesen sein«, sagte sie so leise, dass es im Entengeschnatter kaum zu hören war.
Es geht uns darum, das Gewalttätige des Systems zu zeigen,
indem man selbst demonstrativ friedfertig ist.
David Graeber (Occupy-Aktivist und Anthropologe)
VIER
Stunden später stand Anne mit ihrer Tochter Lisa vor dem Badezimmerspiegel. Die Polizistin duftete nach Parfum und legte sich gerade Make-up auf.
»Mama, warum machst du dich so schön?«
»Weil er, glaube ich, ein toller Mann ist.«
»Bist du verliebt?«
»So schnell verliebt man sich nicht.«
»Hat er auch ein Kind?«
»Das weiß ich nicht.«
»Fragst du ihn?«
»Mal sehen, ob es sich ergibt. Fändest du es gut, wenn er ein Kind hätte?«
»Vielleicht.« Lisa dachte nach. »Wobei, eigentlich … zieht der denn bei uns ein?«
Anne, die sich gerade die Lippen schminkte, musste lachen. »Na, so schnell wollen wir das aber vielleicht auch nicht haben, oder?«
»Genau«, sagte die Tochter mit fester Stimme. »Sonst haut der wieder nur ab, und du weinst die ganze Zeit. So wie bei Bernhard.« Sie beobachtete ihre Mutter, wie sie sich mit den Händen das Haar zurechtzupfte. »Weißt du, Mama, am liebsten wäre es mir, wenn wir zu zweit bleiben. Für immer. Nur wir zwei.«
»Aber du wirst doch auch mal erwachsen«, wandte Anne ein. »Und willst vielleicht auch eine Familie und Kinder.«
Lisa hob ratlos die Schultern. Mit nachdenklichem Blick sagte sie: »Na ja, Kinder vielleicht schon. Aber ob ich einen Mann will … also bei mir in der Klasse sind eigentlich alle Jungs doof.«
»Na, das wird sich wahrscheinlich noch ändern.«
Lisa schüttelte mit ernstem Gesicht den Kopf. »Höchstens, es zieht vielleicht noch einer her. Aber …«, die Achtjährige seufzte, »… weißt du – ich habe jetzt schon so viele Buben kennengelernt … aber die waren einfach alle viel zu wild.«
Anne lachte. »Na, jetzt komm, Emilie wartet sicher schon. Hast du deine Malsachen und das Zahnputzzeug eingepackt?«
Als Anne am nächsten Morgen auf dem Weg zur Bank war, dachte sie über den vergangenen Abend nach.
Johann Bibertal war sehr vorsichtig gewesen. Erst nachdem sie beide in dem Restaurant jeder ein Glas Wein getrunken hatten, hatte er ihr das Du angeboten. Sie hatte sich vorher überlegt, ob sie mit ihm schlafen würde, sollte sich der Abend in diese Richtung entwickeln. Aber sie war zu keinem Schluss gekommen. Einerseits sehnte sie sich nach Nähe, ja, auch nach Sex, und sie fand den Anwalt zudem attraktiv. Aber was, wenn er nur auf einen One-Night-Stand aus war? Hatte sie dazu wirklich Lust? Andererseits: War das Leben nicht viel zu kurz, um immerzu auf etwas zu warten, das vielleicht doch nicht eintrat? Den perfekten Partner, der sie liebte, wie sie war? Mit ihrer nicht unkomplizierten Lebenssituation als Alleinerziehende auf dem Land?
Am Ende waren all diese Überlegungen umsonst gewesen, denn Johann Bibertal war zwar freundlich, aber auch ganz schön distanziert geblieben. Vorsichtig hatte er sie ausgefragt, hatte ihr Komplimente gemacht. Sie hatten festgestellt, dass
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