Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
außerplanmäßigen Lagebesprechung in der Polizeizentrale auf dem Bankparkplatz einfand, hieß die Kondomaktion nicht gut. »Ich habe ja viel Verständnis für junge Leute und, klar, die Kirche ist schon manchmal ein bisserl engstirnig. Aber diese Kondom-Sache ist einfach total daneben, auch wenn man die Kirche nicht gut findet. Gerade die Marterl haben ja nicht nur mit dem Glauben zu tun.«
»Sondern?«, fragte Anne derart spitz, dass Kastner sich fragte, welche Laus seiner Kollegin denn nur heute über die Leber gelaufen war.
»Hinter jedem von diesen Marterln steht eine meist traurige Geschichte.« Er blickte Anne ernst an. Als er ihren verständnislosen Blick konstatierte, fuhr er leiser fort: »Kennst du zum Beispiel das Marterl an dem Baum an der Gerlosbachbrücke?« Anne schüttelte den Kopf. »Das erinnert an einen Mann, der sich in die Luft gesprengt hat, an der Rosssteinwand.«
»Igitt, das ist ja eklig!«
»Ich find’s traurig«, meinte Kastner. Er überlegte kurz. »Oder das Marterl vom ›Eingesteinten Jäger‹ von Schwarzentenn, das ist beim Bucher-Sulzgraben hinten.« Anne spürte, dass sie hier jetzt keine Witze mehr machen konnte. Kastner fuhr fort: »Das erinnert an einen Jäger, der vier Wilderer auf frischer Tat ertappt hat und von denen dann erwürgt worden ist. Man sagt, er sei noch gar nicht richtig tot gewesen, als sie ihn dann unter einem Steinhaufen begraben haben. Deswegen der Name ›Eingesteinter Jäger‹ …«
Anne schluckte und schaute auf das Blatt in ihren Händen. Alle drei schwiegen eine Weile. Dann hob Anne den Blick und sagte, um das Thema zu wechseln: »Habt ihr gelesen, was in dem Bekennerschreiben steht?« Ohne auf eine Antwort zu warten, las sie vor: »›Wir sind die Anonymous Kirchenräuber. Wir stehen in der Tradition von Christo und Jeanne-Claude.‹«
»Sind das auch so Banditen wie die Dings … Herrgott, wie heißen’s jetzt noch einmal, die Bonnie und Clyde?«
»Nein«, preschte Kastner vor. »Den Christo, den kennst du doch, Kurt, das ist der Spaßvogel, der einmal den Reichstag eingepackt hat.«
»Auf so einen Schmarren musst’ auch erst einmal kommen!« Nonnenmacher schaute zum Fenster hinaus auf das Lager der Dorfbesetzer. Überall lagen Frauen und Männer, oft schlangenartig ineinander verknäult, und schliefen in der Gluthitze ihren Rausch aus.
Anne las weiter: »›Wir verstehen unsere Aktion als Aufforderung an die katholische Kirche, ihre imperialistische und frauenfeindliche Haltung aufzugeben, den Zölibat abzuschaffen und die Kirchen für Obdachlose zu öffnen.‹«
Nonnenmacher schüttelte fassungslos den Kopf. Dann sagte er leise und resigniert: »Haben jetzt eigentlich alle einen Dachschaden? Wie soll das gehen, ›den Zölibat abschaffen‹? Die Arbeitszeiten, die wo ein Pfarrer hat, das macht doch keine Frau mit. Das ist ja schlimmer als bei der Polizei!«
»Ich finde schon, dass die Kirche den Zölibat abschaffen sollte«, widersprach ihm Kastner. »Dann hätten die auf einen Schlag endlich wieder einen Haufen Pfarrer. Das ist doch ein toller Beruf. Aber wer will schon Pfarrer werden, wenn er keine Frau haben darf?«
»Es hat doch sowieso ein jeder Pfarrer eine Frau«, meinte Nonnenmacher. Anne sah ihn überrascht an. »Also … eine Haushälterin halt.«
»Ja, aber mit der darf er nicht …« Kastner blickte verlegen zu Boden. Über Intimes zu sprechen, war nicht so sein Ding. »… ihr wisst’s schon …«
»Du, Sepp, bist aber doch auch allein«, wandte der Dienststellenleiter ein.
»Ja, aber nicht, weil es mir das Polizeipräsidium befiehlt, sondern weil …« Kastner schaute zu Anne hinüber. »… weil ich die Richtige halt noch nicht … gefunden hab. Das heißt … gefunden hätt’ ich sie schon, bloß …« Er vollendete den Satz nicht, und Anne konzentrierte sich auffällig stark auf das Blatt in ihren Händen. Dass der, wie sie fand, durchaus liebe Seppi Kastner keine Freundin hatte, konnte und wollte sie auf absehbare Zeit nicht ändern.
Die drastische Tat der Aktivisten, die sich »Die Kirchenräuber« nannten, blieb nicht ohne Folgen. Die Amtskirche war alarmiert. Nach den Missbrauchsskandalen, die den ältesten Großkonzern der Welt erschüttert hatten, registrierte man vor allem auf den unteren Ebenen der katholischen Firma, dort, wo noch direkter Kundenkontakt zum Alltag gehörte, jeden noch so feinen, von der Basis nach oben dringenden Zwischenton.
Und so kam es, dass bereits am Sonntag nach der
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