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Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)

Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)

Titel: Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Blutdruck vor der Menge.
    »Achtung, Achtung«, bellte er in das Megafon. »Hier spricht die Polizei.«
    Sofort rief die Menge: »Yeah, yeah, yeah! Hepp, hepp, hepp, hier spricht der Sepp!«
    »Nix Sepp, ich bin der Kurt«, brüllte Nonnenmacher. Sein Gesicht war knallrot. »Der Kollege Sepp steht da drüben.« Er deutete auf Kastner, dem gerade eine auf die siebzig zugehende Frau mit langem, weißem Haar in einem Batikkleid eine rosafarbene Blume an die Dienstmütze heftete.
    »Kollege Sepp, hepp, hepp, hepp!«, skandierte der Flashmob sofort begeistert.
    »Jetzt mal Ruhe, meine Damen und Herren!«
    »Damen und Herren, Damen und Herren!«, wiederholte die Meute.
    »Folgendes …« Nonnenmachers Stimme klang plötzlich heiser. »Das hier ist keine Gaudi.«
    »Gaudi, Gaudi, Gaudi! Wir sind die neunundneunzig, und wir wollen Gaudi!«, tönte es ihm entgegen.
    »Da drinnen sind Verbrecher, die haben Geiseln genommen, einen Kollegen getötet. Es besteht Lebensgefahr. Für alle, die hier stehen.«
    »Jules und Jorina sind keine Verbrecher!«, rief ein junger Mann mit Strohhut auf dem Kopf.
    »Wir sind die neunundneunzig!« Irgendwo knallte es, Nonnenmacher schrak zusammen, aber es war wohl nur ein Sektkorken gewesen.
    »Das ist mir wurscht!«, knatterte es durch das Megafon. »Ich trage hier die Verantwortung, dass von euch …« Nonnenmacher stoppte kurz und sprach dann mit leichter Abscheu weiter: »… neunundneunzig keinem ein Leid geschieht. Kapiert’s ihr das nicht? Mir haben ja gar nix gegen euch, solang ihr kooperativ seid’s. Aber da drinnen sind Verbrecher, die müssen wir festnehmen.« Er schnaufte noch einmal resigniert in das Megafon und sagte dann: »Ende.«
    Sein Aufruf hatte nichts bewirkt. Die Meute wich keinen Zentimeter zurück. Vielmehr trudelten immer mehr junge Leute auf der Straße ein. Hier und da standen Bierkisten herum. An zwei Stellen qualmten sogar tragbare Grills, es roch nach Bratwurst.
    Dass in dem nördlichsten Dorf am See gerade etwas wirklich Außergewöhnliches geschah, sprach sich auch in den anderen Gemeinden schnell herum. Die Einheimischen konnten es kaum glauben: So viele Menschen, wie jetzt in das Tal strömten, kamen nicht einmal zu den beliebten See- und Waldfesten. Weil sich der Tod von Roland Masco noch nicht herumgesprochen hatte, war die Stimmung gut, insbesondere auch unter den Gastronomen und Hoteliers. Da die meisten der Anonymous-Unterstützer gute Manieren zeigten und für Umsatz sorgten, hielten sich die negativen Stimmen in Grenzen.
    Bei der Polizeidienststelle am See gingen nur geringfügig mehr Anzeigen ein als zu normalen Zeiten. So beschwerte sich zum Beispiel ein am See wohnhafter Milliardär, dass auf der großen Trauerweide auf seinem Hanggrundstück mit Seeblick acht nackte junge Frauen und vier nackte junge Männer säßen und Wodka tränken. Mit der Nacktheit könne er noch leben, erläuterte der zweiundsechzigjährige Vorstandsvorsitzende eines DAX-Unternehmens, aber die jungen Leute machten Geräusche wie Affen, wenn er sie anspreche, und seien zudem entsetzlich tätowiert. Einer der jungen Männer habe sogar einen Nasenring.
    Zusätzliche Brisanz bekam der Flashmob, der sich zu einem Dauerzustand auszuweiten schien, als in der Nacht von Samstag auf Sonntag eine Splittergruppe der Aktivisten eine Vielzahl der christlichen Kreuze und Marterl, die im Tal standen, mit Kondomen verhüllte. Freilich mit ungebrauchten, aber dennoch.
    Auch nicht so gläubige Menschen und sogar Geschiedene, denen die katholische Kirche aus unerfindlichen Gründen die Wiederverheiratung verbot, waren außer sich. An Nonnenmachers Sonntagsstammtisch im Bräustüberl wurden sogar bald Forderungen nach der Wiedereinführung der Todesstrafe laut. Wobei dies nichts zu bedeuten hatte, denn praktisch jeden zweiten Sonntag fand sich irgendein bierseliger Stammtischbruder, der die Todesstrafe wieder zu geltendem Recht machen wollte, etwa, wenn ein Nationalspieler in einem wichtigen Spiel einen Elfmeter verschossen hatte.
    Bayern war letztlich ein tolerantes Land. So war es gesellschaftlich völlig akzeptabel, dass sich auf dem Oktoberfest wildfremde Menschen in den Bierzelten gegenseitig auszogen und abbusselten. Sogar die direkt nach der Wiesn ansteigenden Scheidungszahlen nahm man im Sinne der viel gerühmten Liberalitas Bavariae in Kauf. Aber: Wenn es um die katholische Kirche ging, hörte der Spaß auf.
    Auch Sepp Kastner, der sich wie die anderen Ermittler nach diesem Vorfall zur

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