Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Verschandelung der Kreuze und Marterl die drei Pfarrer der Seegemeinden und der Kaplan zu einer geheimen Sitzung zusammentrafen, deren Ergebnis sogar Insider überraschte: Sie beschlossen, die böswillige Schändung zunächst nicht zu verurteilen, sondern auf die anonymen und in Glaubensfragen wohl auch ahnungslosen Aktivisten zuzugehen.
Sogar Kurt Nonnenmacher, dessen Verhältnis zum Klerus nicht völlig störungsfrei war, seit man ihn als Kind in der Sakristei beim Messwein-Verkosten erwischt und gezüchtigt hatte, war über die Ankunft der vier Kirchendiener erfreut. Denn wenigstens für kurze Zeit ebbte der Partylärm vor der als Geisel genommenen Bank etwas ab, und die fröhliche Meute bestaunte die würdevoll heranschreitenden Pfarrer in ihren prachtvollen Ornaten. Dass zwei der Geistlichen aus dem fernen Ausland kamen, überraschte niemanden, denn die Rekrutierung junger Priesteranwärter war schwierig.
Die vier Glaubensbrüder durchschritten mit ungerührter Miene die auf Isomatten und Klappstühlen, auf Bierkisten und Schlafsäcken lümmelnde Menge, um sich dann vor dem Bankgebäude nebeneinander aufzubauen wie die Spieler des Hamburger Sportvereins beim Freistoß.
Pfarrer Hornmaier erhob das Wort. Dass er die anwesenden Okkupanten mit »verehrte Gemeinde« ansprach, war vermutlich ein Fehler, denn sofort schrie ein älterer Herr im weißen Leinenhemd, der gerade eine selbst gedrehte Zigarette genoss, die sich nach vorn auffällig verdickte: »Gemeinde? Arsch auf! Wir hier sind garantiert nicht von eurer Gemeinde!«
Sofort skandierten die anderen Aktivisten: »Wir sind die neunundneunzig! Wir sind die neunundneunzig …«
Aber so leicht ließ sich Pfarrer Hornmaier nicht aus der Ruhe bringen. Er war Seelsorger auf der Reeperbahn sowie auf einem Marineschiff im Golfkrieg gewesen und Hauspfarrer im bayerischen Landtag, kannte sich also mit harten Jungs jeglicher Couleur bestens aus. Daher wartete er, bis die Rufe abebbten, und fuhr dann fort: »Also dann eben: verehrte Aktivisten!« Als kein erneutes Geschrei aufbrandete, lächelte er im Innersten seiner Seele genau so, wie es sein kleinwüchsiger koreanischer Kollege Kim Yung praktizierte, seit er das Flugzeug, mit dem er aus seiner Heimat ins exotische Bayern geflogen war, mit trippelnden Schritten verlassen hatte. »Wir sind die Diener Gottes hier an diesem schönen See und heißen Sie herzlich willkommen!«
»Darauf pfeifen wir«, schrillte eine helle Frauenstimme über den Platz, und sofort ertönten derart lautstarke Pfiffe, dass sich Nonnenmacher, der gemeinsam mit Anne und Kastner dem Auftritt der Würdenträger beiwohnte, mit schmerzverzerrtem Gesicht die Ohren zuhielt. Doch auch von dem Gepfeife ließ sich Pfarrer Hornmaier nicht verstören. Vielmehr sagte er: »Wir haben die Kunstaktion, die einige aus Ihrer Gemeinschaft in der vergangenen Nacht vollendet haben, zur Kenntnis genommen und sehnen uns nach einem so offenen wie ehrlichen Dialog mit den Urhebern.«
»Fuck Urheberrecht!«, brüllte ein soeben erwachter Endzwanziger mit schwarzem Seeräuber-T-Shirt.
»Wir schlagen daher vor, dass die Künstler sich zu einem vertraulichen Gespräch mit uns als Vertretern der heiligen Kirche einfinden. Wir – also Monsignore Lieberzeit, Kaplan Kim Yung und mein lieber polnischer Kollege, Pater Koslowski – fühlen uns der Basis nah. Uns interessiert, was Sie, liebe …«, er suchte einen Augenblick lang nach dem passenden Wort, »… anwesenden … Menschen denken und fühlen.« Nach einer kurzen Pause schob er dann, nicht ohne Verzweiflung in der Stimme, hinterher: »Ich weiß, nicht alle meine Kollegen in der Kirche haben ein Interesse für die Gefühle der Basis, nun ja, der Menschen. Aber nun, dies ist wie in jedem großen Unternehmen: Manche Mitarbeiter haben den Spirit und manche nicht.«
Jetzt blieben sogar die aufmüpfigsten Alpendorfbesetzer still. Anne überlegte, ob es an der Ehrlichkeit des Pfarrers oder an der Verwendung des englischen Worts »Spirit« gelegen haben könnte. Wie auch immer, die Ansprache des Geistlichen schien gewirkt zu haben, denn es erhoben sich sieben junge Männer und fünf junge Frauen und gingen auf die kirchlichen Würdenträger zu.
Der Anblick der Prozession, die sich danach in Richtung des einstigen Jagerhauses, das heute als Heimatmuseum genutzt wurde, bewegte, hatte für viele der Anonymous-Jünger – ob sie nun gläubig waren oder nicht – etwas Magisches. Kein Wunder: Prozessionen gibt es in Bayern
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