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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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sämtliche Zahlen überprüfen und fragliche Posten dem Oberamtmann melden, der dann mit Bawier darum feilschte, ob es gerechtfertigt sei oder nicht, die Gefängniswärter für die Sonderaufgabe zusätzlich zu entlohnen. Die Abreise ist schon für morgen früh geplant, die beiden Wagen, in denen die Verhafteten transportiert werden sollen, stehen bereit.
     
    Es ist spät geworden, lieber Freund, fast zwei Uhr zeigt mir meine Taschenuhr, die Kerze ist beinahe niedergebrannt, und ich habe noch gar nichts geschrieben von den wenigen Exemplaren an Bienen und Wespen, die ich für Sie eingesammelt habe aber was ist das? Da wird an die Tür gepoltert, ich höre Stimmen: Hannikel! Hannikel! Mein Gott…
     
    Chur und Umgebung, 6./7. September 1786
     
    Wie ein Wild werden sie ihn hetzen. Aber er hat einen Vorsprung, und den nützt er jetzt aus. Wenn er Glück hat, wird er über die Berge in den Süden gelangen, in die Freiheit. Oder er kann sich so lange verstecken, bis sie die Suche aufgeben, dann schneidet er sich den Bart, färbt sich das Gesicht heller, und niemand mehr wird ihn erkennen. Er hat sich in die Herzen der Stadtknechte geschmeichelt und sie alle übertölpelt. Das kann er, der große Hannikel, ein Leben lang hat er geübt, dass man sich von seinen Worten erweichen lässt. Jede Schwäche, die er wittert, nutzt er zu seinem Vorteil.
    Die Stadtknechte, die den Turm bewachten, waren aufgebracht, das Kriminaltribunal hatte ihre Sonderbezüge halbiert. Für einen Hungerlohn, so krakeelten sie, sollten sie die Nachtwache durchstehen! Sie schickten ihren Korporal ins Rathaus, um die Sache geradezubiegen, und der kam zurück mit dem Bescheid, dass der elende Schäffer aus Sulz nicht bezahlen wolle und man bei der getroffenen Regelung bleibe. Große Empörung, die Schnapsflasche kreiste; wollte man sich so etwas gefallen lassen? Es seien immer die kleinen Fische, die büßen müssten, sagte Hannikel dem Mann, der ihm das Essen brachte, und dem anderen, der ihn danach wieder an Hals, Händen und Füßen einschloss, riet er, den Stadtherren ihren Geiz heimzuzahlen: Was sie in die größte Verlegenheit brächte, wäre doch seine Flucht. Der andere verstand, er schloss die Eisenspange am linken Handgelenk nicht richtig zu, befestigte auch die Fußketten nicht ordentlich am Block.
    Nachdem er gegangen war, wartete Hannikel, bis die Stimmen draußen wieder anschwollen und sich betrunkenes Gelächter hineinmischte. Es war nicht allzu schwierig, aus den Schellen zu schlüpfen und danach das schlechte Schloss am Halseisen aufzubrechen. Zuletzt befreite er die Füße aus den Ringen und zog die Schuhe an, die daneben standen. An den zechenden Männern unten konnte er nicht einfach vorbeispazieren, das hätten sie verhindert; außerdem war die Falltür zugesperrt. Aber ein Steinblock auf halber Höhe in der Außenmauer saß ein wenig locker. Hannikel riss ein Stück vom rostigen Eisenband heraus, das die Falltür einfasste, und schürfte sich dabei die Finger blutig. Mit den scharfen Kanten kratzte er den Mörtel aus den Mauerritzen, benutzte das Eisenstück danach als Hebel, um den Steinblock hochzustemmen. Was für ein Hochgefühl, als er sich bewegen ließ! Um eine Daumenbreite erst, dann mehr, schließlich rutschte er schwerfällig nach außen und plumpste ins Gras. Die Nachtluft strömte herein, kühlte Hannikels Gesicht. Er hätte beinahe geschrien vor Freude. Nur kurz zögerte er und dachte an seine Söhne. Es ging nicht anders, er musste sie zurücklassen. Man würde sie milder bestrafen als ihn, denn dem Hauptmann, dem rom baro, drohte der Tod, das wussten alle. Die Lücke war gerade so groß, dass er sich rückwärts durchzwängen konnte. Er hielt sich mit beiden Händen am Mauerrand fest. In der Dunkelheit sah er den Boden nicht. Er musste aber höchstens zehn, zwölf Fuß unter ihm liegen, und so wagte er’s, sich fallen zu lassen. Er landete im Gras, in weicher Erde. Die Augen gewöhnten sich nun doch an die Dunkelheit, er ahnte die Umrisse des Turms, die Schattenmassen der Häuser in der Nähe, den Schimmer der Straße. Bald hatte er die Knechte und ihr Gejohle im Rücken, gedämpftes Gebell, vielleicht hatten sie ihre Hunde mit Absicht eingesperrt. Weg aus der Stadt, so schnell wie möglich! Und weil der Turm zum Stadttor gehörte, wusste er gleich, welche Richtung er einzuschlagen hatte.
    Er geht so schnell, dass er nicht friert, es ist ja kalt für die Jahreszeit, ein leichter Regen durchnässt seinen

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