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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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ebenfalls Passagier zu sein, so konnte ich meine Füße schonen, die bei mir ein empfindlicher Körperteil sind. Wenn wir am Etappenziel ankamen, war es meist schon dämmerig, und ich hatte anderes zu tun, als nach den unscheinbaren Lebewesen Ausschau zu halten, an denen wir beide so großen Anteil nehmen. Immer galt es noch, unsere Ankunft den Notabein auf unserer Reisestrecke vorauszumelden oder provisorische Berichte für den Herzog und sein Kabinett ins Reine zu schreiben. So ist die Ausbeute, die ich Ihnen in diesem Päckchen schicken kann, weit geringer, als ich ursprünglich hoffte. Sie haben mich ja gebeten, inmitten der Schweizer Berge, in einem Gebiet, das Ihnen und mir völlig unbekannt ist, besonders genau hinzuschauen. Ich schließe nicht aus, auf dem Rückweg die eine oder andere Entdeckung zu machen.
    Herr Schäffer vertritt offensichtlich die Auffassung, dass die Dienstreise ein Triumphzug für ihn persönlich werden soll. Sein Ruf als Jauner-Inquisitor ist ihm in der Tat vorausgeeilt, überall kennt man seine bahnbrechende Liste. An den Stadttoren präsentierten die Wachen das Gewehr, die Leute standen Spalier, um uns zu bestaunen. Die Empfänge allerdings, bei denen der Oberamtmann gerühmt und geehrt wurde, glichen sich wie ein Ei dem andern. Auch die hochbedeutenden Herren, mit denen wir es zu tun hatten, verwischen sich in meiner Erinnerung. Vom Lande sah ich wenig. Wir waren froh, endlich das Zollhaus beim St. Luzien-steig zu passieren. Die Schweizer Berge, denen wir immer näher kamen, sind, Fels auf Fels, von unglaublicher Schroffheit; selbst wenn man sie dutzendfach auf Kupferstichen gesehen hat, beeindrucken sie den Hügelgewohnten durch ihre Größe, die man ruhig majestätisch nennen darf.
    Auf der Malanser Zollbrücke erwartete uns schon der Stadthauptmann von Chur mit kleiner Eskorte und dem Auftrag, uns vor etwaigen Überfällen zu schützen. Es gab nämlich Gerüchte, dass sich in den umliegenden Gebirgswäldern Zigeuner versteckt hielten und einen Anschlag auf Schäffer planten. Davon war allerdings nichts zu merken. Dafür säumten immer mehr Zuschauer die Straße und zogen den Hut vor Schäffer, sogar die Kinder begegneten ihm mit Ehrfurcht. Mir schien, dass der Oberamtmann von Ort zu Ort in die Höhe wuchs und sein Brustkorb gehörig anschwoll. Es war Zeit, dass wir endlich in Chur ankamen, bald hätte er sich den Kopf an jedem Türrahmen gestoßen. Allerdings war es schon zu dunkel und zu spät, um noch ins Rathaus geführt zu werden; so legten wir uns, nach dem Verzehr einer versalzenen Fleischsuppe, zu Bett, und ich focht mit Ellbogen und Knien meine erste Auseinandersetzung mit dem Bettnachbarn aus, der mich über den Matratzenrand hinauszudrängen versuchte und mir die Ohren vollschnarchte.
    Am Morgen wurden wir zeitig von einem Sekretär des Kriminaltribunals abgeholt, der vor Übereifer dauernd über seine Füße stolperte. Ins Rathaus begleiten musste uns auch der Zigeuner Hansjörg, der mit uns gereist war und nun endlich von Nutzen sein konnte. Er ist ein ungeschlachter Mann mit gutmütigen Zügen, über die bisweilen ein seltsames Zucken geht, und es ist kaum zu glauben, dass einer wie er einst frevelnd und raubend mit Hannikel herumgezogen ist. Er sei, beteuert er, durch die Überredungskunst und die Drohungen des Räuberhauptmanns verführt worden, schon lange habe er abspringen wollen und die erste Gelegenheit dazu genutzt. Schäffer hält ihn, anders als ich, für eine ehrliche Haut; zu berechnender Täuschung, sagte er mir, sei dieser Mann seines geringen Verstandes wegen gar nicht fähig. So trafen wir zu viert im Rathaus ein, wo in einem düsteren Saal schon das ganze Tribunal samt dichtgedrängtem Publikum versammelt war. Wir setzten uns auf die reservierten, höchst unbequemen Stühle. Der Gerichtspräsident, Doktor Bawier, beinahe zwergenhaft in seiner Gestalt, begrüßte den Oberamtmann, er stellte in ermüdender Länge die Verdienste des Tribunals und jene der württembergischen Behörden dar und betonte mehrmals die enorme Wichtigkeit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Schäffer wollte ihm in keinem Punkt nachstehen und rühmte seinerseits, was er bisher geleistet hatte, vergaß aber nicht, Herrn Bawier in den Himmel zu loben. So dauerte es geschlagene anderthalb Stunden, bis endlich die Vorführung der Gefangenen begann. Was sich nun abspielte, war eine wahre Komödie. Einer nach dem anderen wurde in Handschellen herbeigebracht, sechzehn Männer,

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