Räuberleben
hören, lieber war ihm, wenn sie von seinem Vater erzählte, dem Tambour. Bei ihm, in der Garnison, hatten sie’s doch gut die ersten paar Jahre. Die lange Hungerzeit begann nach seinem Tod.
Er hat schlimme Träume diese Nacht, er sinniert an viel zu vielem herum. Seine Käther würde ihn jetzt wärmen, es ist grausam, wie er an ihr hängt, auch wenn ihre Schönheit vergangen ist. Und doch sieht man ihr immer noch an, dass ihr Vater aus Italien kam. Es war wohl kein Zufall, als sie in einem Wirtshaus Bekanntschaft schlossen, es musste so sein. Die beste Zeit hatten sie beide schon hinter sich. Käthers erster Mann, der Groß-Louis, hatte sie betrogen, mit vier Kindern sitzengelassen und war am Ende als kaiserlicher Deserteur gehängt worden, dem zweiten, einem Spielmann, war sie davongelaufen, weil er sie schlug. Bei Hannikel aber blieb sie, und eine große Freude war ihnen der gemeinsame Sohn, Dieterle, der stiller war als Bastardi, aber klüger. Die Käther singt so schön zur Zither, dass Hannikel die Tränen kommen, wenn er jetzt, im Stroh, daran denkt, er summt sogar ein paar Töne, bewegt die klammen Füße wie zum Tanz, kauert sich dann aber nur noch stärker zusammen. Eine gute Mutter ist sie dem Bastardi und der Dennele, die ja nicht sie geboren hat, sondern Nanti, Hannikels erste Gefährtin, die im Zuchthaus von Mannheim an Entkräftung starb. Keine weiß sich so bei den Leuten einzuschmeicheln wie die Käther, auch bei solchen, die Zigeuner sonst in die siebte Hölle wünschen. Sie liest ihnen aus der Hand und aus den Karten, trifft immer irgendwo ins Schwarze, denn sie errät vieles, hat sich vorher auch geschickt umgehört. Und keine ist eine so listige Hühnerdiebin wie sie, keine brät die Beute so schmackhaft und würzt sie mit wildem Thymian, und wer sie hinterher aufspielen hört, möchte ihr alles verzeihen. Die beste Beutelschneiderin war sie auch, nur geht sie jetzt kaum mehr über die Märkte, sie ist zu langsam geworden, das macht das nahende Alter. Das Alter für die Sinti ist kein schönes Ding.
Ach, Käther, wo bist du jetzt? So träumt er sich zu ihr heran, lässt sich umarmen von ihr, murmelt beruhigende Worte in ihr Ohr. Sie haben sich trennen müssen, so hatten sie mehr Aussicht, den Verfolgern zu entkommen. Aber man hat sie gefangen. Wenn er sie bloß befreien könnte! Soll einer sagen, die Käther sei ihm nicht lieb, sie ist ihm so lieb wie die eigenen Kinder. Warum denn, fragt ihn die finstere Nacht, ist der große Hannikel vor ihnen allen davongelaufen? Weil er sein Leben nicht verlieren will und sein Erzfeind Schäffer und der Karl Herzog es ihm nicht nehmen sollen. Und weil er dafür sorgen wird, dass er und die Seinen eines Tages wieder in Frieden zusammen sind. So wie letzten Sommer bei Gmünd, wo man, verborgen im Tannenwald, den schönsten Lagerplatz hatte, den man sich denken kann. Die Laubhütten an eine Felsschulter gelehnt, eine kühle Grotte für die Vorräte, zwei Bäche in der Nähe. Andere aus befreundeten Sippen fanden sich ein, brachten Geschenke mit, Wachen wiesen ihnen den Weg, warnten mit Häher- und Käuzchenrufen vor unerwünschtem Besuch. Man hatte für einmal genug von allem, Wildbret, Käse, Mehl, frühe Apfel, Beeren, es reichte für manche Wochen, dazu ein Wetter, als wolle die Muttergottes von Einsiedeln die Welt vergolden. Man feierte die halben Nächte durch bei Gesang und Zitherklängen, der Geuder strich die Fiedel, man tanzte, bis einem schwindlig wurde, legte sich ins Bett aus Moos und Laub. Das Erwachen frühmorgens, wenn die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Fichtenstämmen durchscheinende Lichttücher woben. Baumrinde glühte kupferfarben, übers Moos ging ein Schimmer. Käther sagte: Es ist wie in einer Kirche, siehst du? Man hörte keine Orgel, aber den Lobgesang der Vögel, hundertstimmig, die Baumkronen flüsterten dazu ihr Amen. Beinahe wird Hannikel warm bei der Erinnerung, doch dann dringt ihm die Kälte wieder in die Knochen, und da ist auch wieder die Angst, die selbst in den schönsten Zeiten nie vergeht. Hörnerschall von weitem trieb sie dazu, das Sommerlager von einer Stunde auf die andere zu verlassen. Aus den Tarotkarten ziehen die Sinti nach der Sonne und der Gerechtigkeit stets auch das Dunkle, den Teufel, den Gehängten. Das ist ihr Schicksal. In die Morgenhelle eingewoben sind schon die schwarzen Fäden der Nacht, und nur etwas ist stärker als der Tod: die Ewigkeit, die dem Menschen nicht zusteht, weder dem Herzog noch den
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