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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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verflucht. Diese Stickigkeit, alles in einem sehnt sich nach frischer Luft. Das Gefühl, die Wände seien feucht, das Krabbelzeug überall. Und die Momente, da man aufschreckt. Tiefe Dunkelheit, Geschnarche ringsum, irgendwo leises Wimmern, und da könnte es ohne weiteres sein, dass der Tote mitten unter ihnen ist. Sieht man nicht ein schwaches Leuchten wie von einem faulen Strunk? Sind die schwarzen Löcher, die man knapp erkennt, nicht die Augenhöhlen? Sie hätten es nicht tun sollen, aber Dieterle ist mitgegangen. Die ganze Nacht sind sie marschiert, von Untersulz zum Gaisbühlhof. Der Toni hatte die Sippe verraten und ihre Ehre besudelt, deswegen hassten ihn der Dad und der Wenzel. Auf diesem Hass ist Dieterle mitgeschwommen. Man stiehlt keinem Sippenbruder die Frau, der schöne Toni hat es trotzdem getan, er nahm Wenzel die Mantua weg und fiel dann auf Urschel herein. Sie machte sich zum Lockvogel, versprach ihm ein nächtliches Stelldichein beim Viehhäuschen in der Nähe des Gaisbühlhofs. Das meldete sie, wie sie’s versprochen hatte, nach einem Gewaltmarsch ihrem Stiefvater Hannikel und dem betrogenen Wenzel, und so kam es, dass sie dem Verräter auflauerten. Der Nottele war auch dabei, der Duli, die ja nun eigene Wege gegangen sind. Schwierig war es nicht, den Toni niederzuschlagen, er war verdattert, leistete gar keine Gegenwehr, obwohl er eine geladene Pistole bei sich hatte. Er solle leiden, befahl der Dad, den Dieterle noch nie so wütend gesehen hatte. Der Toni lag am Boden, und sie schlugen ihn, sie traten ihn überallhin, und jedes Aufstöhnen, jeder jammervolle Schrei machte sie noch begieriger, ihm weh zu tun. Bald schon flehte Toni um sein Leben, der Geuder wollte ihn schonen. Aber der Dad und Wenzel waren in einem Racherausch, und der griff auch auf Dieterle über. Die härteste Strafe hatte der Toni verdient, Blut musste fließen, damit die Ehre wiederhergestellt war, im Dreck sollte er liegen, wie eine Sau, die der Wolf gerissen hat! Sie ließen erst von ihm ab, als er sich nicht mehr bewegte. Dunkel vom Blut jetzt sein Gesicht, das keins mehr war. Irgendwo bellten Hunde, der Dad sagte: Weg jetzt!, und hatte sich, wie durch Zauberei, vom blinden Wüterich zurückverwandelt in einen vernünftigen Mann. Sie wussten, dass der Toni sterben würde, sie schlichen sich davon. Es änderte nichts mehr, dass Urschel, die am Bach gewartet hatte, laut weinend beteuerte, das habe sie nicht gewollt.
    Von da an ist der Toni nachts zurückgekommen. Er überwindet alle Mauern, erscheint Dieterle auch im Turm. Der Tote, der Mulo, will ihn zu sich ins Totenreich holen, wo es nur Schatten gibt, und als Schatten müsste er dann selbst auf ewig herumwandern. Die Baba hat ihm solche Geschichten erzählt, daran glaubt er mehr als ans Paradies und an die Güte der Muttergottes von Einsiedeln. Manchmal schreit Dieterle mitten in der Nacht auf, lässt sich kaum beruhigen von den anderen, auch Wenzel stockt der Atem, wenn Dieterle diesen Namen flüstert: Toni.
    Drei Wochen bleiben sie im Gefängnis. Verhöre werden keine mehr geführt, man wartet auf Schäffer. Er werde kommen, behaupten die Wärter, bald.
    »Das ist geprahlt«, sagt Bastardi, »sie wollen uns nur einschüchtern, er kommt nicht.«
     
    Chur, den 6. September 17 86
     
    Mein lieber Freund,
    seit Tagen wollte ich Ihnen schreiben. Erst jetzt, kurz vor unserer Abreise, habe ich ein wenig Zeit und Muße, die Ereignisse dieser beschwerlichen Reise zu schildern. Ich sitze spätnachts in meinem Wirtshauszimmer, das ich nach dem unergründlichen Ratschluss des Herrn Oberamtmanns mit Leutnant Bräunlein zu teilen habe, der unseren Begleitschutz kommandiert und leider ziemlich großgewachsen ist. Der Leutnant schnarcht schon lange auf seiner Seite des durchgelegenen Betts. Er hat nach ausgiebigem Konsum des hiesigen sauren Weins nicht einmal die Stiefel ausgezogen und lässt sich durch den Schein meiner Kerze und das Gekritzel der Feder nicht stören.
    Überaus eilig hatte es der Herr Oberamtmann auf dem Weg hierher, es zog ihn magnetisch zu Hannikel. Nur elf Tage brauchte unser Tross für die lange Strecke, und manchmal waren wir, neben den Husaren zu Pferd, zwölf Stunden täglich in der schlecht gefederten Kutsche unterwegs, gefolgt von den beiden leeren Käfigwagen, die für die Gefangenen bestimmt sind. Am ersten Tag ritt Schäffer an der Spitze mit; weil er aber ein schlechter Reiter ist, zog er schon vom zweiten Tag an die Kutsche vor. Ich war froh,

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