Räuberleben
drei Frauen, ein Junge von elf oder zwölf Jahren und zwei kleinere Kinder, die von den Müttern auf dem Arm getragen wurden, abgerissene Gestalten allesamt, schmutzig und zerlumpt, barfuß oder in durchlöcherten Schuhen. Sie warben, je nachdem, mit schiefem Lächeln um Erbarmen oder drückten die Brust heraus, um vor dem Gericht ihren Stolz zu bezeugen. Sie wurden von Bawier nach Namen und Herkunft gefragt, und da sie sich zuvor untereinander abgesprochen hatten, gaben sie alle, bis auf zwei Frauen, einen falschen Namen an und stritten ab, mit dem Hannikel etwas zu tun zu haben. Doch Schäffer fragte jedes Mal seinen Kundschafter Hansjörg, ob er diese Person kenne, und der Zigeuner erhob sich, trat vor den Lügner hin und sagte ganz gemütlich: Du bist doch der Heller und bist mit dem Hannikel herumgezogen, oder: du bist der Hummeie, oder: du bist der Bastardi, und auch wenn die so Benannten noch eine Weile ihren unter Zigeunern geläufigen Spitznamen zu leugnen versuchten, gestanden sie nach kürzerer oder längerer Zeit, wer sie wirklich waren. Man musste ihnen dazu nicht einmal mit der Streckbank drohen. Auch Geuder und Wenzel, der dem Hansjörg ein knapp hörbares »Verräter!« zuzischte, gaben schließlich zu, Hannikels Brüder zu sein, so wie auch der Junge, der sich zuerst äußerst verstockt zeigte, unter gütigem Zureden Hansjörgs einknickte und zu Protokoll gab, ja, er sei der Sohn Hannikels, Christoph Reinhardt, und werde Dieterle gerufen. Wie dieser Junge die Fragen ungelenk zu parieren versuchte, wie er hin- und hergerissen war zwischen Angst und Widerspruch, das ging mir gleich ans Herz; mir schien, er sei noch nicht ganz verdorben und ein guter Geist könnte ihn retten. Als Letzter - es war gleichsam die Peripetie der Auftritte - wurde unter dem Raunen des Publikums Hannikel in seinem abgenutzten grünen Jägergewand hereingeführt. Er ging schleppend, er war kleiner und sah harmloser aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte, trotz seines wuchernden Barts und seiner Vierschrötigkeit. Doch frech musterte er die Verhörrichter und behauptete mit unangenehm lauter, nahezu bellender Stimme, er heiße Kilian Schmid und sei ein gelernter Jäger; von Hannikel wisse er nichts. Erst als Schäffer sich zu erkennen gab und ihn gehörig anfuhr, schlich sich eine merkliche Furcht in seine Miene. Doch er blieb dabei, er sei, wer er sei, punktum. Da pflanzte sich, auf einen Wink Schäffers, Hansjörg auch vor ihm auf und sagte ihm ins Gesicht, sie kennten sich doch, er solle um Gotteswillen zum eigenen Namen stehen. Aber mit großem und gut gespieltem Zorn beharrte Hannikel darauf, ein anderer zu sein. Diesen Elenden, behauptete er, auf Hansjörg deutend, habe er nie im Leben gesehen, gegen ihn sei eine widerwärtige Konspiration im Gang. Das brachte nun den Hansjörg in Rage, er wäre handgreiflich geworden, hätte ihn nicht ein Gerichtsdiener im letzten Moment zurückgehalten. Hannikel solle sich schämen, giftete er, ein Lump sei er, ein hundsgemeiner Mörder, ihn, den Hansjörg, habe er zum Rauben verführt, und was er dem armen Toni angetan habe, werde ihn hoffentlich an den Galgen bringen! Auf dies hin wurde Hannikel - denn er war es, daran bestand kein Zweifel - plötzlich eiskalt und ließ sich vom ehemaligen Spießgesellen kein Wort mehr entlocken. Schäffer konfrontierte ihn nun mit seinen Brüdern Geuder und Wenzel, der mit seinen tiefen Blatternarben das Publikum erschreckte. Widerwillig bestätigten die beiden, dass sie vor Hannikel stünden und dies ihr Bruder sei; sie taten es wohl, weil sie sich davon mildernde Umstände erhofften. Aber Hannikel brach in ein ungläubiges Lachen aus und sagte, es müsse sich um eine Verwechslung handeln, er wisse nicht, wie er sonst zur Ehre käme, für den Schrecken Schwabens gehalten zu werden. Ich ahnte, dass Schäffer mit sich zu Rate ging, ob er eine härtere Befragung anordnen sollte, doch dann befahl er, Hannikel abzuführen und erneut an den Block zu schließen. Die Identität des Rädelsführers, sagte er, sei von genügend Zeugen nachgewiesen, man werde so bald wie möglich mit allen Verhafteten abreisen und Hannikel besonders sorgsam bewachen. Dazu erklärte Herr Bawier im Namen des Tribunals sein Einverständnis; es gehe nur noch darum, die Unkosten zwischen Chur und Württemberg zu regeln.
Mit der Kostenzusammenstellung dauerte es länger, als ich gedacht hatte. Heute Nachmittag musste ich die vollgekritzelten Rechnungsblätter genauestens durchsehen,
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