Räuberleben
Stolzeste von uns.
Sie bringen den Dad herbei, als sie schon auf dem Wagen sind, und sie müssen eng zusammenrücken, so eng, dass sie sich stehend aneinanderlehnen. Auf den freien Platz, der fast ein Drittel der Wagenfläche einnimmt, wird der Dad gestellt und zusätzlich am Gitter festgebunden. In zwei Schritten Abstand zu ihm setzen sich zwei Husaren hin und legen quer vor sich das geladene Gewehr. Auf die Knebelung hat man verzichtet. Man wolle menschlich sein, hat Schäffer gesagt, Hannikel könne so auch durch den Mund atmen, sprechen sei ihm jedoch verboten. Nachdem er die Fesseln inspiziert hat, gibt er das Zeichen zur Abfahrt. Diese Stimme! Eine Säge, die sich durch hartes Holz schneidet, eine alte Tür, die unangenehm knarrt. Schäffer habe sich erkältet und sei voller Schleim, flüstert Bastardi dem Bruder zu, am schönsten wäre es, er würde gleich abkratzen. Schreiende und lachende Kinder laufen neben den Wagen her; Dieterle weiß, dass er mit ihnen nie etwas zu tun haben wird. Sie sind ihm fremd, er ist ihnen noch fremder.
Der Himmel hat sich aufgehellt, ein paar Sonnenstrahlen wärmen ab und zu Dieterles Kopf und Schultern. Schon wieder haben sich längs der Straße Leute versammelt, die Hannikel mit Schmähungen überhäufen. Noch mehr stauen sich hinter den Mauern von Feldkirch. Mit lauten Rufen schaffen die Husaren Platz, die Kutscher knallen mit den Peitschen. Da hält sich Hannikel nicht länger im Zaum. Erneut ruft er den Leuten zu, sie sollen ihn befreien, er sei einer von ihnen. Doch die Worte gehen unter im Lärm, schon haben die zwei Wagenwächter sich auf den Dad gestürzt. Einer hält ihm die Hand über den Mund und schreit auf, weil Hannikel ihn zu beißen versucht, der andere versetzt ihm Faustschläge in die Magengrube. Wie weh tut es Dieterle, dass dem Dad niemand hilft. Die Tränen, die ihm übers Gesicht laufen, gelten mehr der Schmach des Vaters als seiner eigenen Hilflosigkeit. Schäffer ist aus der Kutsche gestiegen, er pflanzt sich neben dem Wagen auf, einen Schritt hinter sich den Schreiber, und misst Hannikel mit bösen Blicken. Er sagt etwas zum Schreiber, dann zum langen Leutnant, den er herangewinkt hat. Inzwischen hat man Hannikel wieder geknebelt. Dieterle empfindet es körperlich, wie der Dad um Atem ringt. Die Pferde werden gefüttert, Begrüßungen und Ehrbezeugungen durch die Stadtregierung finden statt, Hannikel wird ausgiebig besichtigt. Gefangene, die ihre Notdurft verrichten müssen, werden einzeln vom Wagen heruntergelassen und zu einer schmutzigen Latrine am Stadttor geführt. Hannikel indessen wird nur halb losgebunden und hat sich, zum Gaudium der Gaffer, auf einen Nachttopf zu setzen. Besonders Frauen kreischen deswegen vor Vergnügen.
Bevor die Reise weitergeht, nach Bregenz, wie es heißt, taucht der Schreiber aus der Menge auf und überreicht den Husaren auf dem Wagen etwas Schwarzes. Es ist eine Ledermaske, die wohl in aller Eile von einem Schuhmacher angefertigt worden ist. Man drückt sie Hannikel roh aufs Gesicht. Für die Nase gibt es ein Loch, für den Mund einen Schlitz, der ein wenig Luft durchlässt, aber klares Sprechen verunmöglicht. Der Dad versucht sich zu wehren, indem er den Kopf hin- und herwirft, aber in kürzester Zeit haben die Soldaten ihm die Maske aufgezwungen, den Bändel am Hinterkopf verknotet. Der Dad sieht nun selbst aus wie ein Mulo mit pechschwarzer augenloser Fratze. Dieterle will nicht mehr hinschauen und kann doch den Blick nicht abwenden vom Maskenmann. Er sagt zu sich: Das ist mein Vater, der Dad, aber wenn das Bild vor seinen Augen verschwimmt, zweifelt er plötzlich daran.
Die Reise schien gar nicht enden zu wollen in ihrer Gleichförmigkeit. Sie kamen von Stadt zu Stadt, überall empfing man Schäffer mit größten Ehren. Die Gefangenen verbrachten die Nacht in engen Verliesen, in leergeräumten Rathauskellern. Frauen und Männer durften kein Wort miteinander wechseln, manchmal nur riefen sie sich rasch etwas zu, und der Dad wurde stets von den anderen getrennt. Wenigstens nahm man ihm für die Nacht die Ledermaske ab. Das Essen, das sie bekamen, reichte kaum für alle, es war oft fast ungenießbar, eine Brühe mit zerkochtem Gemüse, Schweinefüßen, angeröstetem Mehl. Dieterle aß hastig, schlürfte das Flüssige aus dem Napf, stopfte das Feste mit den Fingern in sich hinein. Die Männer teilten ihm mehr zu als sich selbst, und doch war er dauernd hungrig, der Hunger saß in ihm wie ein böser Vogel und
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