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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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Laugengeruch drang. Durch eine Nebenpforte gelangten sie in den zweiten Hof und standen vor der Anstaltskirche. Sie war in einen Quertrakt eingegliedert, der die beiden ausgedehnten Flügel der Anstalt miteinander verband. An einigen Fenstern zeigten sich Gefangene; durch den Hof ging eben eine Kolonne von Männern in Zuchthauskleidung, die zu zweit Suppenkessel schleppten, aus denen Dampf stieg. Es sei Essenszeit, erklärte Pfarrer Schöll, ein Mann mit melancholischem Ausdruck, und der bärtige Waisenhauslehrer Hartmann fügte leicht stotternd hinzu, der Besuch Seiner Durchlaucht sei gewiss eine freudige Überraschung, aber deswegen habe man nun leider keine Vorbereitungen treffen können, um Durchlaucht standesgemäß zu bewirten; indessen seien die Herren herzlich eingeladen, das einfache Mahl mit den Waisen zu teilen.
    Der Herzog zögerte kurz, dann sagte er: »Gut. Bei dieser Gelegenheit sieht man doch gleich, wie die Dinge liegen. Und Er«, damit wandte er sich an Hartmann, »kann uns am Tisch erklären, was für Anliegen Er hat.« Die Soldaten und den Diener, die bis hierher mitgekommen waren, schickte er zu den Pferden zurück; sie sollten sich von einem Wirtshaus etwas bringen lassen. Georgii entschuldigte sich wortreich, er werde im Zuchthaus drüben gebraucht. Nach der Essenspause kämen alle Insassen in den Arbeitsräumen wieder zusammen. Wenn Durchlaucht nachher eine Besichtigung wünsche, stehe er Durchlaucht selbstverständlich zur Verfügung.
    »Schon recht«, schnitt Karl Eugen ihm das Wort ab, »wir werden sehen.«
    Der Speisesaal für die Waisen, ein heller Raum, in dem es allerdings übel roch, lag im ersten Stock des Quertrakts. Die Kinder, fast alles Jungen, saßen bereits eng zusammengedrängt an den Tischen. Beim Erscheinen des Herzogs schnellten sie in die Höhe und skandierten auf ein Zeichen der Aufseher hin einen Willkommensgruß so präzise, als hätten sie ihn hundertfach geübt. Jetzt erst sah man, dass sie alle rußfarbene Oberkleider trugen, die in ihrem groben Schnitt Mönchskutten glichen. Pfarrer Schöll strich mit lauter Stimme die Ehre hervor, die ihnen der Landesherr durch seine Anwesenheit erweise. Darauf setzten die Kinder sich wieder und sprachen, die gefalteten Hände auf dem Tisch, ein Dankgebet. Das Amen erklang, und danach war kein Wort mehr zu hören. Karl Eugen zeigte seine Zufriedenheit, indem er applaudierend die vorderen Fingerglieder gegeneinandertippte. Für ihn und die anderen Erwachsenen war ein Tisch am Rand des Saals gedeckt, zu dem ihn der Lehrer führte. Es seien im Moment hundertzweiundzwanzig Kinder im Haus, erklärte Hartmann, als sie Platz genommen hatten, sie würden morgens von sechs bis acht Uhr im unteren Saal unterrichtet und nach der Arbeit um fünf Uhr nachmittags noch einmal während zwei Stunden, hauptsächlich in der christlichen Lehre, aber auch im Lesen und Rechnen; den klügeren Knaben bringe er sogar etwas Geometrie und Geographie bei. Dem Herzog wurde die Suppe als Erstem geschöpft. Für die Besucher hatte man in aller Eile Teller und Löffel aufgetrieben. Die Kinder indessen schlürften die Suppe aus ihren Näpfen. Eine Art Chor aus Schlürf- und Schmatzgeräuschen erfüllte den Raum, begleitet von Husten, Sich-Räuspern und ungeniertem Rülpsen.
    »Das ist widerlich«, sagte Karl Eugen halblaut über den Tisch zu Bühler, der verlegen auf seinen Teller schaute. Er meinte den Esslärm; Hartmann jedoch, noch verlegener als der Minister, nahm an, die Bemerkung gelte der Suppe, und sagte entschuldigend: »Es fehlt uns leider an Mitteln, genügend Salz einzukaufen.« Und Schöll bemerkte: »Wir haben für Durchlaucht nach gesottenem Fleisch geschickt.«
    »Schon recht«, knurrte der Herzog, »ich habe ohnehin keinen Appetit.« Er schob den Teller von sich weg, und mit einem kaum erkennbaren Lächeln schaute er zu, wie sein Minister sich dazu zwang, die Suppe auszulöffeln. Er beugte sich vor und senkte die Stimme bis zur Flüstergrenze: »Immerhin braucht hier keiner zu hungern.« Danach fragte er Hartmann, der unbehaglich neben ihm saß, woher die Zöglinge hauptsächlich kämen und wie sie ihre Eltern verloren hätten. Einige, erwiderte Hartmann, seien, sehr klein noch und mehr tot als lebendig, vor Kirchentüren aufgefunden worden, andere habe man nichtsnutzigen Zigeunermüttern, die sie verwahrlosen ließen, weggenommen, dritte wiederum habe man hierhergebracht, weil ihre Nächsten ins Gefängnis gesteckt oder hingerichtet worden

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