Räuberleben
am Platz, der ihnen zustehe, dem Land und dem Landesherrn zu dienen. Er wurde übertönt von lärmigem Stühlerücken. Es sei höchste Zeit, so entschuldigte sich Pfarrer Schöll, dass die Waisen an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten.
Karl Eugen, über dessen breitflächiges Gesicht es wieder einen Moment lang wetterleuchtete, entschied sich dafür, dem Pfarrer beizupflichten. »Bestens, so nimmt doch alles seinen geregelten Gang.«
Kaum waren die Kinder draußen, brandete, als wäre ein Damm geborsten, eine Woge von Geschrei und Gelächter in den Saal zurück, so heftig, dass die Besucher erschraken. Doch gleich schien die Woge in sich zusammenzubrechen, es kehrte wieder Ruhe ein, die nach dem kurzen Aufruhr beinahe gespenstisch wirkte, man hörte bloß noch sich entfernendes Getrappel. Der Waisenhauslehrer lächelte, um Nachsicht bittend. »Man muss sie zu bändigen wissen«, sagte er. »Es braucht Jahre, bis die wahre Religion sie zu gehorsamen und sanftmütigen Menschen gemacht hat.« Schöll nickte gravitätisch und lud die verehrten Gäste zu weiteren Besichtigungen ein. Zumindest die Zustände in der Tuchmanufaktur müsse man sich ansehen, hakte Bühler nach, sonst sei es nicht möglich, sich ein Bild vom Ganzen zu machen. Mit gequälter Miene willigte der Herzog ein.
Der Arbeitsraum, den sie aufsuchten, war schlecht beleuchtet und staubig, Webstühle standen dicht nebeneinander, das Klappern tat den Ohren weh. Die Männer in Zuchthauskleidern, die am Weben waren, riefen den hin und her wieselnden Kindern Kommandos zu. Die Kleinsten krochen herum und sammelten Wollabfälle zusammen, die Größeren waren damit beschäftigt, Kettfäden zu ziehen, das Schiffchen zu werfen oder ein Pedal zu betätigen. In einer Ecke saßen ein paar und kämmten Wolle, andere walkten das fertige Tuch. Die Arbeit wurde unterbrochen, als die Besucher eintraten. Man starrte sie an. Schöll befahl, mit allem fortzufahren, und Betriebsamkeit erfüllte von neuem den Raum.
Der Herzog blieb unter der Tür stehen und begann, die Hand vor dem Mund, sogleich zu husten. Hartmann reichte ihm ein nicht allzu sauberes Taschentuch, das er angewidert zurückwies. Man webe hier momentan Flanell fürs Militär, erläuterte der Lehrer; aus diesem Tuch werde auch die Waisentracht gefertigt. Die Raumverhältnisse seien leider so, dass einige Zöglinge hier auch schlafen müssten. Deshalb werde die Hälfte der Webstühle abends auseinandergenommen und am Morgen wieder zusammengesetzt. Eine zeitraubende, aber leider unumgängliche Zusatzarbeit, die für viel Unmut sorge.
»Da sehen Sie es doch, Exzellenz«, sagte Bühler und bemühte sich, keinen allzu starken Vorwurf anklingen zu lassen, »hier braucht es unbedingt Verbesserungen. In den Bittschriften des Herrn Kammerrats Georgii stand ja auch, dass teilweise Sträflinge und Waisen nachts zusammengelegt werden müssen. Das ist nach meiner Meinung unhaltbar.«
»In der Tat«, erwiderte der Herzog. »Ich habe es schon gesagt: Man muss die Sache besser organisieren. Darin liegt das ganze Geheimnis. In meiner Akademie ist das nicht anders.«
»Dort gibt es keine Manufaktur, Durchlaucht«, wagte Hartmann einzuwenden.
Doch der Herzog hatte sich schon umgedreht und stiefelte durch den langen Gang zurück. Er hätte viel darum gegeben, die unappetitlichen Gerüche, die von allen Seiten auf ihn eindrangen, von sich abzuhalten.
Der Abschied von Schöll und Hartmann war kurz und förmlich; er sei, sagte der Herzog, im Wesentlichen zufrieden mit der Führung des Waisen- und Arbeitshauses, die übrigen Trakte werde er ein anderes Mal besichtigen. Nicht vergessen: die Organisation! Da erwarte er klare Fortschritte! Beinahe nebenher fügte er an: Die Bauarbeiten würden fortgesetzt, sobald der Haushalt es gestatte, sein Herz schlage gewiss auch für die Waisen in seinem Herzogtum. Das war eine Konzession an Bühler, keine verbindliche, aber Bühlers Gesicht hellte sich merklich auf.
Der Oberamtmann Kerner, der vom herzoglichen Besuch erfahren hatte, war inzwischen ebenfalls zur Stelle. Er hatte eine volle Stunde bei den Pferden gewartet und versuchte mit vielen Bücklingen, den Herzog davon zu überzeugen, auch noch der verlassenen Residenz ein paar Minuten seiner kostbaren Zeit zu gönnen; die Baufälligkeit einiger Gebäudeteile bedürfe dringend seiner Aufmerksamkeit.
»Ein anderes Mal«, sagte Karl Eugen und wusste, dass er künftige Besuche in Ludwigsburg vermeiden würde. Seine Oberschenkel und
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