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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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nirgendwo habe er Fuß fassen können, überall sei ihm früher oder später, seiner Herkunft und seiner dunklen Hautfarbe wegen, Misstrauen entgegengeschlagen.
    Zu Unrecht habe man ihn dieser oder jener Vergehen bezichtigt, und dies so oft, bis er sich gedacht habe, dann begehe er die Taten eben wirklich, es habe gar keinen Sinn, sich um bürgerliche Redlichkeit zu bemühen.
    Gute Vorsätze aufzugeben, sei falsch, hielt ihm Schäffer entgegen, und alles auf üble Umstände abzuschieben, noch falscher; könne ein Kind als schuldlos gelten, so wachse es unweigerlich heran und werde verantwortlich für sein Tun.
    Dazu sagte Hannikel, der auf merkwürdige Weise geduckt dastand, nichts Weiteres, er schob bloß seine Unterlippe vor, und aus seiner ganzen Haltung konnte man Ergebenheit ebenso wie Sprungbereitschaft lesen.
    Grau wusste bei solchen Dialogen manchmal nicht mehr, was er protokollieren sollte und was nicht. Seine Feder stockte, er warf fragende Blicke zu Schäffer und den Beisitzern, bekam aber keine Anweisung und entschied sich meist dafür, Schäffers moralische Belehrungen wegzulassen, was dem Oberamtmann hinterher gar nicht auffiel.

Die Frauen, die der Reihe nach vernommen wurden, Urschel, Legard, die Bremin, Käther selbst, nahmen Hannikel weitgehend in Schutz, während sie eigene kleine Diebstähle ohne weiteres gestanden. Sogar Legard, Käthers älteste Tochter, die ursprünglich bereit gewesen war, Hannikel zu belasten, schwächte nun frühere Aussagen ab und strich hervor, wie gut er für seinen Anhang und vor allem für die Kinder gesorgt habe. Die Überfälle und schweren Einbrüche, derentwegen die Männer angeschuldigt waren, gaben die Frauen zwar zu; sie wiederholten aber ein ums andere Mal, dass sie nie dabei gewesen seien und immer gehört hätten, dass Hannikel die Ausgeraubten geschont, ja gegen Übergriffe der eigenen Leute verteidigt habe.
    Als Schäffer Käther fragte, was sie denn zur schrecklichen Ermordung des Grenadiers Christoph Pfister sage, wich ihr das Blut aus dem Gesicht. Man schob einen Stuhl zu ihr, damit sie sich setzen konnte. Mit großer Mühe brachte sie ihre Antwort hervor: Die Geschichte mit dem Toni sei etwas ganz anderes, da sei es um einen Ehrenhandel gegangen. Was Toni getan habe, sei nach alter Sitte nur mit Blut zu sühnen gewesen, doch bedaure auch sie - das fügte sie fast unverständlich hinzu - die Umstände der Tat.
    Eine alte Sitte über herrschende Gesetze zu stellen, entrüstete sich Schäffer, sei vermessen, schlimmer noch als Bluttaten aus Berechnung oder blindem Zorn. Wer so handle, missachte gleichermaßen Gott und den Landesherrn, und das verdiene die Höchststrafe. Darauf begann Käther, die auf ihrem Stuhl zusammengesunken war, zu zittern und vor sich hin zu wimmern; von ihren Worten verstand Grau nur, dass Hannikel nicht getötet werden dürfe.
    Man führte sie weg. Beim nächsten Verhör hatte sie ihre Stimme fast ganz verloren, sie klagte über starkes Halsweh und sprach an der Grenze des Wisperns. Schäffer stellte nochmals die gleichen oder ähnliche Fragen; das tat er immer nach ein paar Tagen, um die Verhörten auf Widersprüchen zu behaften oder ihnen weitere Einzelheiten zu entlocken. Käthers Antworten veränderten sich im Wesentlichen nicht, aber sie bekamen fahlere Farben. Sie schloss nun beinahe jeder Aussage flüsternd an, dass die Not, die pure Not sie zu allem Unrecht getrieben habe, besonders zur Winterzeit, wenn der Hunger bei den Kindern übermächtig geworden sei. Sie rang um die richtigen Worte. Die bittere Kälte, wenn ihnen nirgendwo Unterkunft gewährt wurde. Diese Eiseskälte überall in den Gliedern, die Frostbeulen bei den Kindern, ihre blaugefrorenen Füße. Hannikel habe ein altes Hemd zerschnitten und die kleinen Füße, die am schlimmsten aussahen, mit Tuchstreifen umwickelt. Und sie, Käther, habe aus einem Pfarrhaus Kinderschuhe gestohlen, nur Schuhe, sonst nichts. Das stundenlange Stapfen durch den Schnee. Manchmal hätte sie sich am liebsten mit Dieterle, der kaum noch Kraft zum Weinen hatte, hingelegt und wäre nicht mehr aufgestanden. Dann die Nächte in Scheunen, im Heu, was für eine Wohltat! Aber das Essen sei ihnen nie in den Mund geflogen, Eicheln und Bucheckern hätten sie aus dem Schnee gegraben, sogar tote Krähen gerupft, halb gebraten über kümmerlichem Feuer, und nach wenigen Bissen wieder ausgespuckt, denn widerlicher schmecke kein Vogel. Einige Male kam sie auf Dieterle zu sprechen, der lange so

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