Räuberleben
gar nicht ein, beschimpfte, wenn Schäffer ihn zur Stellungnahme zwang, den Zeugen als Lügner, als von den Behörden gekauften Überläufer, der, um sich selbst zu retten, ehemalige Freunde an den Galgen bringen wolle. Diese Beschuldigungen trieben den Konstanzer Hans zu Tränen, er rang die Hände, blickte zur Decke und schwor hoch und heilig, dass es ihm auf die Wahrheit und die christliche Demut ankomme, auf nichts anderes. Einmal - es ging um einen Einbruch in der Calwer Gerberei - fiel er vor Hannikel sogar auf die Knie, versuchte seine Beine zu umfassen und flehte ihn weinend an, er möge mit einem Geständnis Gott gefällig sein. Hannikel verschlug es die Sprache, und auch nachdem man den Konstanzer Hans von ihm weggezogen hatte, verging eine ganze Weile, bis die Zunge ihm wieder gehorchte. Zum Erstaunen aller gab er nun zu Protokoll, dass er sich im Sachverhalt, der eben vom Zeugen geschildert worden sei, getäuscht habe. Nun erinnere er sich, ja, er sei in Calw der Anführer gewesen.
Nach dieser Episode begann ein Aufweichungsprozess, der mit einer weiteren Maßnahme Schäffers zusammenhing. Darüber unterrichtete er die Beisitzer und den Schreiber Grau am Ende eines strengen Verhörtags: Er habe den Konstanzer Hans in Hannikels Nachbarzelle einquartiert; die Zellen seien durch eine Tür miteinander verbunden, so dass die beiden Gefangenen einander nach Belieben besuchen könnten. Es sei, dies lasse er sich durch die Wärter rapportieren, vor allem der Konstanzer Hans, der zu Hannikel hinübergehe und darauf dringe, mit ihm über das Leiden des Herrn und die Erlösungshoffnung der guten Christen zu sprechen. Wenn der Hans ihm aus der Bibel vorlese, gehe das nur langsam und stockend vonstatten, sei aber vielleicht gerade deshalb umso wirkungsvoller. Hannikel jedenfalls höre ihm schweigend zu; und die Ansätze zur Reue, die bei ihm neuerdings aufträten, hingen gewiss auch mit der biblischen Botschaft zusammen.
Die Verhöre ergaben ein immer vollständigeres Bild der Taten Hannikels und seiner Bande. Die Liste begann mit dem bisher ungeklärten Raubüberfall auf den Juden Cerf Moses Hirsch in Mittelbronn, der im September 1768 stattgefunden hatte. Sie endete mit dem Einbruch ins Pfarrhaus von Ettlingen achtzehn Jahre später und der Ermordung des Grenadiers Christoph Pfister, genannt Toni. Dazwischen waren die großen Einbrüche in Ingweiler bei Löwel Levi, in Marienthal bei Liebmann Levi und in Dettweiler bei Bahr Moises verzeichnet, bei reichen Juden, die, teils mit Frauen und Töchtern, schwer misshandelt worden waren, damit sie Geld- und Schmuckverstecke preisgaben. Dazu kamen Diebstähle und weitere Einbrüche in Lützelstein, Bliesbrücken, Ibenhausen, Zaberfeld, Hechingen, Conweiler, Calw, hin und wieder bei Bauern, Gerbern, einfachen Bürgern, später häufiger in evangelischen Pfarrhäusern; selbst unbemittelte Witwen wurden nicht geschont. Die Bande, die bis zu dreißig Mittäter umfasste, raubte alles, was sich veräußern und weiterverwenden ließ: Geld, Gold, Silber, Schmuck, Kleider, Fleisch, Brot, Käse, Bienen in ihren Körben, Schafe, Gänse, Hühner. Die gesamte Schadensumme, auch das kam ins Protokoll, wurde nach eingehender Berechnung auf 41614 Gulden und vier Kreuzer veranschlagt.
Der Überfall von Mittelbronn bei Pfalzburg vom September 1768 führte zu einem traurigen Nachspiel. Hannikel hatte das Haus des Juden Cerf Moses Hirsch zuvor gründlich ausgekundschaftet. In der Nacht aber wurde die Bande von Bauern überrascht. Hannikel gab seine Leute als pfalzburgisches Kommando aus, mit dem Auftrag, den Juden Hirsch zu verhaften, weil er Hehler- und Schmuggelware verstecke. Darauf ließen die Bauern es zu, dass der Jude und seine Familie gefesselt und das Haus geplündert wurde. Unbehelligt zogen die Räuber ab. Moses Hirsch zeigte den Diebstahl bei der Obrigkeit an, und aus Gründen, die auch später unklar blieben, bezeichnete er sieben Bürger des nahgelegenen Ortes Lützelburg namentlich als Mittäter beim Überfall. Alle anderen in seinem Haus bezeugten, die Beschuldigten ebenfalls erkannt zu haben. Sie wurden verhaftet, gestanden aber auch unter schwerer Folter nicht, am Raub beteiligt gewesen zu sein. Dennoch wurden vier von ihnen zum Tode verurteilt und die drei anderen auf die Galeeren geschickt, von wo sie nicht mehr zurückkehrten.
Hannikel schien von diesem Urteil nichts gewusst zu haben. Als Schäffer ihn darüber unterrichtete, zeigte er sich bestürzt, ja
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