Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
beantworten.
»Das da drüben sind Kirschblütenbäume, nicht? Wie nennt man die Machart des Gartens? So sonderbare Anordnungen von Pflanzen und Bäumen habe ich nie gesehen! Hier wird ja alles beschnitten! Ihr unterwerft die Natur und macht etwas Neues daraus!«
Aus Chiyos Mund klang das nicht wie ein Vorwurf, sondern wie ein gottgegebenes Recht. Vielleicht war sie als zukünftige Herrscherin von Bóya der Meinung, dass man die Natur sehr wohl unterwerfen durfte.
»Na ja, das ist japanische Gartenarchitektur«, meinte Nadja lahm. Sie sah sich um und merkte, dass das nur bedingt stimmte. »Und englische und französische«, ergänzte sie. »Der Abschnitt da drüben sieht aus wie ein Park in Paris. Japan ist ein Land der Extreme, das viele Gegensätze vereint und sich gerne am Ideenreichtum anderer Länder bedient. Ein Beispiel dafür ist der Tokio-Tower. Er ist einem berühmten Bauwerk von Paris nachempfunden: dem Eiffelturm.«
»Eiffelturm«, echote Chiyo mit leuchtenden Augen.
Als sie an einen abgesperrten Bereich kamen, blieb sie stehen. Unzählige Blumen in allen nur erdenklichen natürlichen Farben befanden sich hinter dem Zaun. Es waren Chrysanthemen. Auch Nadja verharrte trotz ihrer inneren Unruhe einen Moment und betrachtete das bunte Blumenmeer.
Eine Chrysanthmenschau
. Noch war der Eingang verschlossen, und die Besucher konnten nicht hinein.
Chiyo griff unruhig nach ihrem Fächer und wandte ihren Körper den Blumen zu, als traue sie den Gewächsen nicht über den Weg. »Was sind das für welche? Sind sie gefährlich? Saugen sie euch die Kräfte aus, oder trinken sie euer Blut?«
»Nein.« Nadja musste lächeln. »In der Menschenwelt machen Pflanzen so etwas nicht.«
»Aber wenn sie nicht gefährlich sind«, Chiyo klappte ihren Fächer zu, »warum sperrt ihr sie dann ein?«
Während sie weitergingen, versuchte Nadja die Elfen über die Grundzüge der sozialen Marktwirtschaft und der menschlichen Wirtschaft im Allgemeinen aufzuklären, erntete jedoch nur ungläubige Blicke. Chiyo ging diese Sache mit dem Geld nicht so richtig in den Sinn, auch wenn sie verstand, dass jemand gerne noch mehr besitzen wollte als zuvor. Besitz war ihr schließlich nicht fremd. Aber was man ausgerechnet mit Geld anfing und warum nicht Edelsteine, Kleider oder – das war ihre Lieblingswährung –
Schuhe
als Zahlungsmittel benutzt wurden, verstand sie erst nach einiger Zeit.
Nadja fühlte sich müde und ausgelaugt von den vielen neugierigen Fragen. Sie bereute es bereits, die Elfen mitgenommen zu haben. Sie waren unglaublich weltfremd und schienen an dem eigentlichen Auftrag – David und Rian zu finden – nur halb so interessiert zu sein wie an der Menschenwelt.
Kush störte die Leine an seinem Hals, weshalb er ständig versuchte, sich unsichtbar zu machen wie Pirx und Grog, wenn sie in der Menschenwelt waren. Aber er scheiterte alle paar Schritte und wurde wieder sichtbar. Das beständige Flackern seiner Umrisse machte Nadja nervös, wenngleich es die Menschen in ihrer Umgebung ignorierten.
Wie sehr sie sich nach Ruhe sehnte! Nach einem stillen, einsamen Ort, an dem sie überlegen konnte, wie sie weiter vorging. Sie musste Cagliostro so schnell wie möglich aufspüren! Ihr Zusammentreffen in Venedig war ihr noch gut im Gedächtnis. Fast genau ein Jahr war vergangen, seitdem David das erste Mal in die Hände des Magiers fiel.
Cagliostro ist kein Mensch, der sich lange versteckt und abwartet
, dachte sie, während Chiyo an ihrer Seite vor sich hin plapperte und mit dem Zeigefinger wild auf fremde Menschen deutete.
In Venedig liebte er Feste, den Maskenball. Er mag Prunk und Reichtum, und er braucht Menschen, die ihn umschwärmen und anbeten. Vielleicht habe ich Glück, und er macht es mir einfach. Vielleicht ...
Nadja sah auf die nahen Hochhäuser am Ende des Parks.
Vielleicht wartet er sogar auf mich und stellt mir eine Falle. Er wird vermuten, dass ich nach David suche. Demnach wird er sogar wollen, dass ich ihn aufspüre
.
Sie kamen an den Ausgang des Parks und passierten eine kleine Holzbude. Der Mann darin – Nadja vermutete, dass es sich um ein Kassenhäuschen handelte – sah sie misstrauisch an, ließ sie aber passieren. Schließlich wollten sie aus dem Park heraus und nicht hinein.
Auf einem Schild waren Kanji-Zeichen zu sehen, unter denen eine Übersetzung in romanischen Schriftzeichen stand: Shinjuku Gyoen. Auf dem Schild saß ein mächtiger schwarzer Rabe, der Nadja herausfordernd mit seinen schwarzen
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