Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
zufrieden. »Dieses Podest ist ein Stück höher als die anderen. Ich mag es, ganz oben zu sitzen. Von dort hat man den besten Überblick.« Er reichte Nadja eine Karte, die nur aus Kanji-Schriftzeichen bestand.
»Ich bedaure, aber das kann ich nicht lesen.«
»Natürlich. Ich empfehle Tempura-Udon, Ba-Sashi und anschließend Chûtoro und Ôtoro. Danach Ginan.«
»Und was ist das alles?« Nadja legte die Karte zur Seite. Ihre Nervosität war abgeflaut, trotzdem blieb sie wachsam.
»Tempura-Udon ist eine Suppe aus Weizenmehlnudeln mit frittierten Riesengarnelen, Ba-Sashi ist ein hinreißendes Carpaccio aus Pferdefleisch. Der nächste Gang verspricht das Delikateste des Thunfischs. Er schmeckt wahrhaft verführerisch. Und Ginan besteht aus leicht bitteren Ginkgonüssen. Es ist hervorragend zu dem Sake geeignet, den ich Ihnen gerne vorsetzen würde.«
»Ich nehme alles außer dem Carpaccio.«
»Wie Sie wünschen, Arina.« Tenji bestellte bei einer der Kellnerinnen im Kimono. Ihr Gewand war so prächtig wie die Kostüme im Theater. Nadja mochte die Kimonos mit den weiten Ärmeln und dem würdevollen Ausdruck.
Sie betrachtete das elegante Restaurant mit dem Parkettboden und der stilvollen Einrichtung. So ließ es sich leben. Trotzdem wäre sie lieber im Theater gewesen. Sie versuchte, ihre Sorgen um die Elfen zur Seite zu drängen und sich auf das Mahl zu konzentrieren. Der Thunfisch, der wohl als ausgesuchte Spezialität galt, war nicht wirklich ihr Fall, aber alles andere schmeckte ihr hervorragend, wenngleich es ungewöhnlich für den europäischen Gaumen war.
Nachdem sie das Essen beendet hatten und aus schlichten, sündhaft teuren Tongefäßen Sake tranken, sah Nadja gedankenverloren hinunter auf das dunkle Meer mit den blitzenden Lichtern der Schiffe.
Tenji musterte sie von der Seite. »Sie müssen ständig an David denken, nicht?«
»Was?« Nadja fuhr zusammen. Sie spürte, wie ihr Essen ihr wieder hochzukommen drohte.
»David und Rian. Die wollen Sie doch, Nadja Oreso. Oder liege ich da falsch?« Die Selbstsicherheit in seiner Stimme war wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte vermutlich von Anfang an gewusst, wer sie war, und hatte es vorgezogen, mit ihr zu spielen.
Nadja schluckte krampfhaft. »Sie wissen ... Sie haben es ...« Ein Impuls riet ihr zu fliehen: aufzuspringen und davonzurennen! Vielleicht schaffte sie es bis zum Aufzug. Laut setzte sie das Tongefäß auf dem Tisch ab.
Ihr panischer Blick schien Tenji offensichtlich zu amüsieren. Mit einem zufriedenen Grinsen strich er über den schweren Siegelring an seiner Hand.
Wut stieg in Nadja auf. »Ich sollte jetzt gehen.«
»Bleiben Sie sitzen, Nadja. Ich werde Sie schon nicht auffressen. Sie wollen David und Rian, und ich will etwas von Ihnen.«
Nun war sie vollends verwirrt. Hastig nahm sie einen Schluck Sake. Wollte er ihr einen Handel anbieten?
»Was könnten Sie von mir wollen?«
»Ihren Geist«, gab Tenji unumwunden zu. »Ich sammle sie seit Jahrhunderten. Ich bin ein Jäger, der schon in jedem Land der Anderswelt gejagt hat. Unter den Geistern bin ich gefürchtet. Ein Meister, der sie in das Holz zwingt. Und was gibt es Schöneres als den Geist einer Frau wie Sie. Den Geist der Mutter Talamhs. Sie würden einen Ehrenplatz in meiner Sammlung bekommen.«
Nadja versuchte, das Zittern ihrer Hände unter dem Tisch zu verbergen.
Er ist wahnsinnig! Wahnsinnig und vollkommen skrupellos!
»Und wie wollen Sie das bewerkstelligen?«, fragte sie forsch.
Nur keine Angst zeigen!
»Ich werde abwarten. Sie waren dumm genug, ganz allein an dieses Theater zu kommen. Ihr Manager ist nicht mehr als ein armseliger menschlicher Tropf, und diese Promenadenmischung aus Falten an seiner Seite hat keinerlei Qualitäten als Wachhund. Sie sind verzweifelt. Sie wollen die Zwillinge, und Cagliostro will Sie, Nadja. Aber er wird Sie nicht bekommen. Schon in wenigen Tagen werden Sie mir ganz und gar ergeben sein.«
Er klang so selbstsicher, dass Nadja sich beherrschen musste, ihm nicht ins Gesicht zu schlagen. Sie wollte ihn nicht reizen.
»Wer sagt Ihnen, dass ich nicht aufstehe und für immer durch diese Tür verschwinde?« Der Blick ihrer zornig funkelnden Augen wanderte zum Ausgang.
Tenji lachte leise auf. »Das sagt mir mein gesunder Elfenverstand. Sie werden an das Theater zurückkehren und brav die Rolle einnehmen, die ich Ihnen beschieden habe. Wegen David. Sie lieben ihn, und die Liebe lässt lebende Wesen die unlogischsten Dinge tun. Ich finde das
Weitere Kostenlose Bücher