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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song
Autoren: Antje Babendererde
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Aussicht öffnete Hannas Herz und kurzzeitig kamen ihr Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung, zumal ihre Suche ohne Greg wenig Aussicht auf Erfolg hatte. Sein Vertrauen war ihr sehr viel wert und trotzdem hatte sie sich still und leise davongemacht. Sie war geflüchtet – vor Greg Ahousats Nähe und den wilden Wünschen, die er in ihr geweckt hatte. Er hatte ihr viel erzählt, sie hatten gelacht und gestritten. Sie liebte ihn – trotzdem war er ihr ein Rätsel geblieben.
    Wir werden enttäuscht und fangen neu an. Wir geben die Hoffnung nicht auf. Das ist das Leben.
    In Port Angeles fuhr Hanna direkt zum Hafen. Eine Fähre lag am Anlieger, doch sie war schon voll besetzt. Das nächste Fährschiff beförderte nur Passagiere und keine Fahrzeuge. Erst am Nachmittag ergatterte Hanna einen Platz auf der Coho Ferry nach Victoria auf Vancouver Island.
    Als die Fähre endlich ablegte, fiel Hanna ein Stein vom Herzen. Nun musste sie nicht länger grübeln, sie war auf dem Weg. Die Überfahrt würde etwa anderthalb Stunden dauern. Nachdem die Zollkontrolle Hannas Pass gestempelt hatte, ging sie nach oben an Deck. Die Sonne lugte zwischen den Wolken hervor und das Wasser breitete sich vor ihr aus wie ein funkelnder dunkler Teppich. Einige Passagiere standen an der Reling und hofften, einen Blick auf eine Gruppe von Walen werfen zu können, die sich seit einigen Tagen in diesen Gewässern aufhalten sollte.
    Hanna war viel zu müde, um auf das Schauspiel zu warten. Sie setzte sich in das Restaurant unter Deck und bestellte ein Stück Kuchen und einen Kaffee. Nach nur vier Stunden Schlaf in der vergangenen Nacht hatte das Warten auf die Fähre ihre letzten Energien geraubt. Hanna hatte schon befürchtet, eine Nacht im wenig attraktiven Port Angeles verbringen zu müssen. Jetzt freute sie sich auf ihren Kaffee und hoffte, dass er die Kopfschmerzen besiegen würde.
    Sie studierte eine Karte von Vancouver Island, die sie in Port Angeles gekauft und vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Mit dem Finger fuhr sie die Orte an der Westküste entlang und plötzlich schlug ihr Herz schneller. Ihr Finger lag auf einer kleinen Insel. Ihr Name war Anaqoo .
    Jemand fragte nach einem freien Platz an ihrem Tisch und Hanna bejahte gedankenverloren – ohne den Blick von ihrer Karte zu heben. Anaqoo. Auf einmal wusste Hanna, wo sie nach Jim suchen musste
    Ein leises Räuspern holte sie aus ihren Gedanken und sie sah auf. Es war Greg, der ihr gegenübersaß.
    Er trug ein weißes T-Shirt und eine schwarze Lederweste darüber, auf die zwei stilisierte rote Lachse aus Stoff aufgenäht waren. Er sah verdammt gut aus – und er war kein Geist.
    Ein dicker Kloß wuchs in Hannas Kehle. Greg sagte kein Wort, er sah sie nur an.
    »Es tut mir leid«, brachte sie schließlich hervor.
    Greg schüttelte den Kopf, beugte sich ein wenig über den Tisch und legte eine Hand auf ihre. »Entschuldige dich nicht, Hanna, dazu gibt es keinen Grund. Schließlich bist du nur deshalb nach Neah Bay gekommen, weil du Jim finden willst.« Er wandte den Kopf und sah aus dem salzfleckigen Fenster. »Es war dumm von mir zu glauben, ich könnte dich davon abbringen.«
    Hastig zog Hanna ihre Hand zurück. Was wollte er ihr damit sagen? Die vergangenen Tage, die letzte Nacht – war das alles nur Mittel zum Zweck gewesen? Hatte Greg die ganze Zeit versucht, sie weg von der Wahrheit zu führen? Hatte er von der Insel gewusst?
    »Warum, Greg«, fragte Hanna. »Warum hast du versucht, mich von der Suche abzubringen?«
    »Weil du noch nicht bereit bist.«
    »Bereit für was?«
    »Für die Wahrheit.«
    »Und du …«, sie zögerte, »du kennst die Wahrheit?« Erwartungsvoll sah sie ihn an.
    Greg schüttelte den Kopf. »Nein, Hanna, ich kenne die Wahrheit nicht. Aber ich ahne, dass sie etwas mit meinem Volk und seiner Vergangenheit zu tun hat. Dafür bist du nicht bereit. Weil du Angst hast.«
    Hanna senkte den Kopf. Greg hatte recht.
    »Es ist wegen deiner Tochter, nicht wahr?«, fragte er. »Du bist dir nicht mehr sicher, ob du ihr überhaupt von Jim erzählen und sie jemals nach Neah Bay bringen sollst, oder ob es besser ist, wenn die andere Hälfte in ihr nicht geweckt wird.«
    Sie hob den Kopf und sah Greg an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ist das nicht verständlich?«
    »Nein, Hanna. Du darfst Ola nicht verschweigen, wer ihr Vater ist. Deine Tochter ist zur Hälfte Indianerin und sie sieht aus wie eine Indianerin. Du darfst ihr diesen Teil ihrer Herkunft
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