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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song
Autoren: Antje Babendererde
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wenn du ihn nicht siehst.
    Hat dein Stern dich beschützt, Jim?
    Hanna dachte, dass sie nach diesen wenigen Tagen in Neah Bay sehr viel mehr über Greg Ahousat wusste, als sie in einem halben Jahr über Jim herausgefunden hatte. Jims Sprache war das Schweigen gewesen. Seine Gedanken hatte er nicht mit ihr geteilt, aber Liebe mit ihm war jedes Mal wie ein Rausch gewesen. In diesen Momenten waren sie sich so nah gewesen, dass ihnen klar wurde, wie fremd sie einander waren.
    Würde es ihr mit Greg ebenso ergehen? Hanna wandte den Kopf. Ihre Blicke trafen sich.
    »Ich habe auch ein Geschenk für dich, Hanna.« Er nahm ihre Hand, legte seine zur Faust geballte Rechte darauf und schloss Hannas Finger um etwas Hartes, das sich angenehm glatt anfühlte.
    Sie öffnete ihre Finger und besah sich das Stück im Mondlicht genauer. Es war ein kleiner Kamm aus poliertem Holz, der mit Muscheleinlegearbeiten und einem seltsamen Vogel verziert war.
    »Er ist wunderschön«, sagte sie gerührt.
    »Und vor allem ist er sehr alt«, sagte Greg. »Ich war als Kind ab und zu bei den Grabungen in Ozette dabei. Ich habe ihn gefunden.«
    »Du hast … was?«
    »Du kannst ihn ja in dein Museum bringen, wenn er dir in den Händen brennt.« Greg lächelte.
    Wie gut er mich schon kennt, dachte Hanna.
    Es war Greg, der die Entscheidung traf. Sanft zog er Hanna an sich heran und nahm sie in die Arme. Sie schmiegte sich in die Sicherheit seines Körpers, spürte seine Wärme und sein Begehren. Gregs Haar streifte ihre Wange wie ein dunkler Wind, der nach Zedernholz duftete. Als Hanna den Mund öffnete, um etwas zu sagen, verschloss Greg ihre Lippen mit einem innigen Kuss.
    Mit sanfter Entschlossenheit führte er sie ins Haus und im Schutz der Dunkelheit entledigten sie sich ihrer Kleider. Greg hob Hanna auf das von einem blauen Streifen Mondlicht beschienene Bett und streckte sich an ihrer Seite aus. Seine Haut spannte und glühte vor Verlangen an ihrer. Hanna dachte: Das passiert mir nicht einfach, ich habe es mir ausgesucht. Dieser Mann hatte die seltsame Gabe, Erinnerungen zu wecken und andere auszulöschen.
    Der Druck seiner Hände, Knie und Hüften war sanft und fordernd zugleich. Ihr Atem flog, als er zu ihr kam. Hanna krümmte sich, um ihn ganz in sich aufzunehmen. Auf und ab – wie Ebbe und Flut. Erinnerungen kamen und trieben wieder davon. Es war ein Rhythmus, der sich selbst trug. Hanna spürte das Erwachen von etwas Unbekanntem, sie merkte, wie sich ihr Leben in dieser Nacht neu zusammensetzte.
    Später lagen sie eng aneinandergeschmiegt und Hanna hörte an seinem gleichmäßigen Atem, dass Greg eingeschlafen war. Du bist wie das Meer, dachte sie. Du hast mich aufgefangen.

18. Kapitel
    Im Morgengrauen, eine Stunde vor Sonnenaufgang, schlich Hanna mit ihrer Tasche unter dem Arm aus dem Strandhaus. Greg schlief noch fest, als sie ging, zumindest glaubte sie das. In der vergangenen Nacht war er ihr so nahegekommen, dass Hanna das Gefühl hatte, fliehen zu müssen, wenn sie Jim wirklich noch finden wollte. Wäre sie geblieben und hätte Gregs Zärtlichkeiten auch am Morgen zugelassen, hätte sie nicht mehr die Kraft gehabt, ihre Suche fortzusetzen. Hanna hatte lange wach gelegen und die Entscheidung war ihr sehr schwergefallen.
    Sie lenkte den Leihwagen nach Neah Bay, durchquerte den langen Ort und blieb auf der Straße Richtung Port Angeles.
    Ihr Ziel war die Westküste von Vancouver Island. Sie wollte, sie musste es ohne Greg schaffen. Vielleicht war es besser, Jim allein gegenüberzutreten. Vielleicht hatte Jim Kachook all die Jahre nur darauf gewartet, dass sie endlich nach ihm suchte.
    Der Zwiespalt, in dem Hanna sich nach der vergangenen Nacht befand, machte sie einsamer, als sie es zuvor gewesen war. Aber sie wollte ihre Gefühle für Greg nicht bezwingen. Wie sollte sie krampfhaft auf etwas verzichten, wonach sie sich so sehr sehnte? Es gab Zeiten, da richtete man sein Handeln gegen das Leben und gegen sich selbst. Hanna würde aufhören damit. Sobald sie Jim gefunden hatte.
    Die Sonne war aufgegangen und hatte sich hinter den grauen Wolken hervorgekämpft, als Hanna den kleinen Ort Joyce erreichte. Zu ihrer Rechten tauchten in der Ferne die Olympic Mountains mit ihren schneebedeckten Berggipfeln aus dem Dunst. Der Anblick war überwältigend. Vor einer Woche, als sie die Strecke in umgekehrter Richtung gefahren war, hatte sie die Berge nicht zu Gesicht bekommen, denn sie waren hinter dichten Regenwolken verborgen geblieben.
    Die
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