Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
anstarrte. Thymara fasste sich ein Herz. »Darf ich dich etwas über Parasiten bei Drachen fragen?«
»Hat man dir denn gar keinen Anstand beigebracht?« Es folgte ein Schnauben. Zwar erreichte der Drachenodem Thymara nicht, aber sie nahm dennoch den feinen Giftnebel wahr.
Thymara stand wie vom Schlag gerührt. Vorsichtig tastend fragte sie: »Ist es unanständig, so etwas zu fragen?« Sie wäre gern ein paar Schritte zurückgewichen, aber aus Furcht blieb sie stehen.
»Wie kannst du es wagen, mir den Rücken zuzuwenden?«
Die Schuppenkrausen am Hals der Drachin stellten sich auf. Bisher war Thymara ihre Funktion verborgen geblieben, doch nach allem, was sie aus der Tierwelt wusste, bedeutete ein solches Gebaren Aggressivität. Als sich die Schuppenkränze öffneten wie die Blütenblätter einer Echsenblume, kam darunter ein leuchtendes Gelb hervor. Mit dem Blick ihrer kupferroten Augen fixierte die Drachin Thymara, und als diese den Blick erwiderte, schienen sich die Augen langsam zu drehen. Thymara war, als schaue sie in zwei Strudel geschmolzenen Kupfers. Der Anblick war atemberaubend schön und Furcht einflößend zugleich. »Entschuldige«, sagte sie verzweifelt. »Ich wusste nicht, dass das unhöflich war. Ich dachte, du wolltest, dass ich gehe.«
Etwas stimmte nicht, aber Sintara wusste nicht, was es war. Das Mädchen hätte schon längst von ihr bezaubert sein müssen, vor ihr auf den Knien rutschen und um ihre Aufmerksamkeit betteln müssen. Stattdessen hatte es ihr den Rücken zugekehrt und war davongegangen. Dabei war doch allgemein bekannt, dass Menschen dem Drachenzauber leicht zum Opfer fielen. Sie spreizte ihre Halskrause noch weiter und schüttelte den Kopf, um ihren Sinnesnebel noch weiter zu verströmen. »Willst du nicht meine Dienerin sein?«, fragte sie das Mädchen. »Bin ich nicht schön in deinen Augen?«
»Natürlich bist du schön!«, rief die Menschenfrau aus, doch ihre Haltung und der Gestank von Furcht, der von ihr ausging, verrieten, dass sie nicht verzückt, sondern eingeschüchtert war. »Als ich dich vorhin zum ersten Mal gesehen habe, habe ich dich als den Drachen erwählt, für den ich zuständig sein möchte. Doch unsere Unterhaltung war …« Die Worte des Mädchens versandeten.
Sintara tastete nach den Gedanken des Mädchens, erkannte aber nur Nebel. Vielleicht war dies das Problem. Vielleicht war das Mädchen zu dumm, um von ihr verzaubert zu werden. Sintara kramte in ihrem Drachengedächtnis und fand Hinweise auf solche Menschen. Manche waren sogar so blöde, dass sie nicht einmal die Sprache der Drachen verstanden. Allerdings schien dieses Mädchen ihre Worte sehr wohl zu erfassen. Was war dann nur mit ihm los? Sintara beschloss, eine kleine Probe ihrer Macht anzustellen, um zu sehen, ob das Mädchen überhaupt für ihren Zauber empfänglich war. »Wie heißt du, kleines Menschlein?«
»Thymara«, kam die Antwort unverzüglich. Doch gerade, als Sintara sich über ihren Vorteil freuen wollte, fragte das Mädchen: »Und wie heißt du?«
»Ich glaube nicht, dass du dir schon das Recht verdient hast, meinen Namen zu erfahren!«, wies sie das Mädchen zurecht, worauf dieses sich ängstlich duckte. Thymara roch zwar nach Angst, aber ohne eine Spur der Verzweiflung, die eine solche Weigerung in ihr hätte hervorrufen müssen. Nachdem das Menschenmädchen schwieg und nicht erneut um die Gunst bettelte, ihren Namen zu erfahren, fragte sie frei heraus: »Wünschst du dir nicht, meinen Namen zu kennen?«
»Dann wäre es viel einfacher für mich, mit dir zu reden, ja«, gab das Mädchen zögernd zurück.
Sintara lachte. »Doch du begehrst nicht danach, weil du Macht über mich haben willst?«, fragte sie mit sarkastischem Unterton.
»Welche Macht würde mir dein Name verleihen?«
Sintara starrte auf sie hinab. War es möglich, dass sie nicht um die Macht eines Drachennamens wusste? Jemand, der den wahren Namen eines Drachen kannte, vermochte ihn dazu zu zwingen, die Wahrheit zu sagen, ein Versprechen zu halten oder gar einen Gefallen zu gewähren, wenn er ihn richtig anwandte. Wenn diese Thymara von solchen Dingen tatsächlich keine Ahnung hatte, würde sie sich hüten, das Mädchen darüber aufzuklären. Stattdessen fragte sie: »Wie würdest du mich nennen, wenn es an dir läge, mir einen Namen zu geben?«
Jetzt wirkte das Mädchen weniger furchtsam als fasziniert. Sintara ließ die Augen langsamer kreisen, und Thymara machte sogar einen Schritt auf sie zu. Da. So war es
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