Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
dass ich Tats holen würde, und dass ich meinen Elch mit ihm zusammen zu unseren Drachen schleppen würde. Einen Teil des Fleisches wollte ich fürs Abendessen der Hüter beiseitelegen. Aber ich habe nicht angeboten, meine Beute mit dir oder deinen Freunden zu teilen.«
Greft wirkte überrascht, beinahe verletzt. »Aber wir sind doch alle Freunde hier, Thymara! Wie könnte es anders sein, da wir doch nur so wenige sind? Du hast mir selbst einmal abends am Lagerfeuer gesagt, dass du nie zuvor so viele Freunde hattest wie jetzt! Ich habe geglaubt, dass du das ernst meinst.«
Tats in ihrem Rücken schwieg. Sie wollte nicht zu ihm zurückblicken, damit er nicht auf den Gedanken kam, sie würde Hilfe benötigen. Auch Sylves Gesicht wollte sie im Moment nicht sehen. Sicher würden die beiden erkennen, dass Greft alles verdrehte, oder nicht? Sich zuerst um seine Freunde zu kümmern, war kein Eigennutz. Wenn sie das deutlich machen würde, wäre alles wieder gut. Sie holte Luft. »Diesen Elch habe ich allein getötet, Greft. Und ich entscheide, mit wem ich das Fleisch teile. Ich habe Tats gewählt. Und Sylve, weil sie mir geholfen hat. Ich habe weder dich noch Boxter oder Kase ausgesucht. Deshalb ist das Fleisch nicht für euch.«
Greft tat so, als schaue er in den Himmel. Natürlich konnte er ihn durchs Blätterdach nicht sehen. Gleichwohl wussten alle, dass bald die Dämmerung hereinbrechen würde. »Du würdest das Fleisch lieber vergammeln lassen oder den Aasfressern verfüttern, als uns etwas davon zu geben? Von dem Elch ist immer noch mehr als die Hälfte übrig, Thymara, mehr als ihr drei auf einmal tragen könnt, wie ich schätze. Und ihr habt nicht mehr genug Zeit für eine zweite Fuhre. Sei doch vernünftig und nicht so eigennützig. Es schadet doch nicht, den Elch zu teilen. Boxters Drache hat heute gar nichts erlegt, und der von Kase nur einen Fisch, und noch nicht einmal einen großen. Sie haben Hunger.«
Ihr war bewusst, dass sie ihre Worte mit Bedacht wählen sollte, aber sie war so wütend darüber, dass er alles so verdrehte. »Dann müssen sie für ihre Drachen eben auf die Jagd gehen, so wie ich es gemacht habe! Und nicht warten und sich dann bei mir bedienen! Auch ich muss einen Drachen füttern, wie du weißt. Ich muss sogar zwei Drachen füttern.«
»Und beide haben mit vollem Magen gepennt, als ich sie das letzte Mal gesehen habe«, erwiderte Greft ruhig.
»Aber meiner nicht!«, platzte Sylve plötzlich heraus. »Mercor hat zwar gefressen, aber nicht genug, auch wenn er zu edel und tapfer ist, um sich zu beklagen. Und der kleine Kupferdrache von Tats hat wahrscheinlich gar nichts abbekommen. Er braucht Fleisch und keine Streitereien! Können wir das Fleisch nicht einfach ins Lager bringen und die Sache dort klären, bitte!«
»Das finde ich einen klugen Vorschlag«, pflichtete Greft ihr postwendend bei. Er warf einen Blick zu Kase und Boxter. »Seid ihr damit einverstanden?«
Boxter nickte, und Kase, dessen Augen in der zunehmenden Dunkelheit kupfern leuchteten, zog die Schultern hoch. Greft wandte sich wieder Thymara zu. »Dann ist es abgemacht. Wir sehen uns, wenn ihr auch wieder am Fluss seid.«
»Nichts ist abgemacht!«, knurrte Thymara, doch Tats legte ihr eine warme Hand auf die Schulter. Als sie das Gewicht spürte, fragte sie sich, ob er ihr zeigen wollte, dass er auf ihrer Seite war, oder ob er sie von etwas abhalten wollte, was er für töricht hielt. Er wandte sich an Greft.
»Wir klären das, wenn wir zum Fluss zurückkehren. Wir wissen alle, dass es bald dunkel wird, und wir sollten keine Zeit mit Streit verlieren. Aber es ist noch nicht abgemacht, Greft. Ich gebe dir recht, dass das Fleisch geteilt werden sollte, aber nicht auf deine Weise.«
Grefts schmale Lippen zuckten, doch sein Lächeln konnte genauso gut freundlich wie höhnisch sein. »Gewiss, Tats. Gewiss. Wir treffen uns am Ufer.« Unvermittelt beugte er sich nach vorn und zerrte das Elchbein vom Fleck, sodass Thymara ihm unwillkürlich Platz machte und seitlich in die Büsche trat. Boxter und Kase folgten ihm, und beide grinsten unverhohlen. Als Kase an ihr vorbeiging, stellte er leise fest: »Ist doch nur gerecht, dass man etwas abbekommt, wenn man schon die Arbeit macht.«
»Niemand hat dich darum gebeten!«, fauchte Thymara ihm hinterher, doch er ging einfach weiter. »Das ist, wie wenn man einen Dieb dafür bezahlt, dass er so hart gearbeitet hat, um ins Haus einzubrechen!« Mit erhobener Stimme schleuderte sie
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