Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
erwarte er, dass Leftrin etwas sagte. Dieser versuchte es. Trotz seiner Bemühungen, sich zu beherrschen, war seine Stimme rau vor Zorn und Verzweiflung. »Ihr wollt, dass ich nicht mehr mit ihr rede, stimmt’s?«
Sedric drückte das Kinn gegen den Hals und machte große Augen. Es überraschte ihn, dass Leftrin das Offensichtliche nicht erkannte. »Ich fürchte, das wäre zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt und angesichts der beengten Unterbringung unzureichend. Ihr müsst einem Eurer Jäger be fehlen, Alise und mich auf einem der kleinen Boote der Hüter nach Trehaug zurückzurudern.«
»Wir sind drei Tagesreisen oberhalb von Cassarick«, betonte Leftrin. »Und eines dieser Boote würde nicht einmal die Hälfte ihres Gepäcks fassen, ganz zu schweigen von Alise und Euch in Eurem Aufputz.«
»Beides ist mir durchaus bewusst«, gab Sedric forsch zurück. Leftrin musterte sein Gesicht und hatte den Eindruck, dass die Mundwinkel des Gecken beinahe ein Lächeln andeuteten. »Wenn wir mit der Strömung flussabwärts fahren, kommen wir mit den Booten viel schneller voran. Ich habe gestern gehört, wie sich die Jäger darüber unterhalten haben. Von daher nehme ich an, dass Alise und ich höchstens eine Nacht kampieren müssten, ehe wir Cassarick erreichen. Von dort könnten wir Vorkehrungen für eine angemessenere Rückreise nach Trehaug und schließlich nach Bingtown treffen. Und was unsere Habseligkeiten angeht, die müssten natürlich erst einmal an Bord bleiben. Wir würden nur mit dem notwendigsten Gepäck fahren und uns auf Euch verlassen, dass Ihr uns den Rest nach Bingtown sendet, wenn Ihr nach Trehaug zurückgekehrt seid. Das könnten wir Euch bestimmt anvertrauen.«
Leftrin glotzte ihn nur an.
»Ihr wisst, dass dies die richtige Handlungsweise ist«, drängte ihn Sedric leise, und als wolle er der Klinge, die er ihm in den Leib gerammt hatte, noch einmal einen Ruck geben, fügte er hinzu: »Um Alises willen.«
Vom Ufer schallte ein lang gezogener, leiderfüllter Schrei herüber.
»Gestern Abend ging es ihm doch noch besser!«, beharrte Sylve. Rot gefärbte Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Bei ihrem Anblick zuckte Thymara zusammen, denn sie wusste sehr wohl, wie sehr solche Tränen schmerzten. Wahrscheinlich war es die Angst vor diesen Schmerzen, weshalb sie selbst nicht weinte. Sie kniete neben dem kleinen Kupferdrachen. Gestern Abend hatte er gefressen, die erste wirklich große Mahlzeit, seit sie ihm vor ein paar Tagen das Elchfleisch gegeben hatten. Doch anders als die anderen Drachen, die seit dem Beginn der Reise Muskeln und Fleisch angesetzt hatten, war der Kupferne dürr geblieben. Sein Bauch war von der gestrigen Mahlzeit noch immer aufgebläht, doch Thymara konnte dennoch seine Rippen zählen. An den Schultern und entlang seiner Wirbelsäule wirkten seine Schuppen so, als würden sie sich von der Haut lösen.
Tats, der die Schnauze des Drachens untersucht hatte, erhob sich und legte tröstend einen Arm um Sylves Schulter. »Er ist nicht tot«, sagte er, um ihre Befürchtungen zu zerstreuen. Aber im nächsten Atemzug weckte er sie wieder. »Ich glaube jedoch, dass er den Tag nicht überlebt. Es ist nicht deine Schuld!«, fügte er eilig hinzu, als Sylve keuchend Luft holte, um in Schluchzen auszubrechen. »Ich glaube, du bist schlichtweg zu spät in sein Leben getreten, Sylve. Er hatte von Anfang an keine guten Aussichten. Sieh dir nur an, wie unverhältnismäßig seine Beine im Vergleich zum Rest seines Körpers sind! Und kürzlich habe ich ihn dabei ertappt, wie er Schlamm und Steine gefressen hat. Ich glaube, er hat Würmer. Schau nur, wie stark sein Bauch geschwollen ist, während er sonst ganz dürr ist. Bestimmt ist er von irgendwelchen Parasiten befallen.«
Sylve gab ein ersticktes Geräusch von sich. Sie schüttelte Tats Hand von ihrer Schulter und lief davon. Jetzt versammelten sich allmählich andere Hüter in einem Kreis um den niedergestreckten Drachen. Thymara musste sich auf die Lippen beißen, um nichts zu sagen – aus einer hartherzigen Regung heraus hätte sie Tats beinahe nach Jerd gefragt. Schließlich war sie es, die ihm mit dem Kupferdrachen hatte helfen wollen. Sylve dagegen hatte lediglich versprochen, ihr mit dem Silberdrachen zu helfen, aber letztendlich hatte sie sich, weichherzig wie sie war, dann doch um beide schwächlichen Drachen gekümmert. Und wenn der Kupferne starb, wäre sie am Boden zerstört.
»Was fehlt ihm denn?«, fragte Lecter im
Weitere Kostenlose Bücher