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Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Titel: Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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ihm überließen. Er war ein äußerst geschickter Kerl, selbst hier im Blätterdach, wo sich die Leute, die am Grund geboren waren, nie hinwagten. Meistens war Thymara froh um seine Gesellschaft, denn sie hatte kaum Freunde. Die Kinder, die sich mit ihr abgegeben hatten, als sie noch klein war, waren inzwischen erwachsen, verheiratet und begannen ein neues Leben als Eheleute und Eltern. Nur Thymara verharrte in einer eigenartig verlängerten Jugendzeit. Deshalb spendete es ihr auf eine seltsame Weise Trost, einen Freund gefunden zu haben, der genauso einsam war wie sie. Sie fragte sich, weshalb er noch nicht verheiratet war oder wenigstens jemandem den Hof machte.
    Ihre Gedanken waren abgeschweift. Erst, als er die Frage an sie richtete, merkte sie, dass sie lange Zeit geschwiegen hatte. »Wolltest du allein sein? Ich will dich nicht stören.«
    »Nein, du störst mich nicht, Tats. Ich habe mich nur ein bisschen zurückgezogen, um nachzudenken.«
    »Worüber?« Er klammerte sich stärker an den Ast.
    »Ich wäge meine Möglichkeiten für die Zukunft ab. Nicht, dass ich eine große Auswahl hätte.« Sie brachte ein Lachen zustande.
    »Nicht? Warum nicht?«
    Sie sah ihn an und fragte sich, ob er sie aufziehen wollte. »Nun, ich bin sechzehn Jahre alt und lebe noch immer bei meinen Eltern. Niemand hat bisher um meine Hand angehalten, und das wird auch künftig niemand tun. Also, entweder ich bleibe bis ans Ende meiner Tage bei meinen Eltern oder ich versuche auf eigene Faust mein Glück. Ich verstehe mich aufs Jagen und auch aufs Sammeln. Doch mir ist klar, dass ich damit allein ein armseliges Leben führen würde, wenn ich sonst keine Fähigkeiten habe. In der Regenwildnis muss man zu zweit haushalten und auch dann noch hart arbeiten, um nicht vom Fleisch zu fallen. Und ich werde immer allein sein.«
    Nach diesem Wortschwall machte Tats ein erschrockenes und ein wenig betretenes Gesicht. Er räusperte sich. »Warum glaubst du, dass du immer alles alleine machen musst?« Und leiser fügte er hinzu: »Bei dir hört es sich immer so an, als wäre es etwas ganz Furchtbares, bei seinen Eltern zu leben. Ich wäre froh, wenn ich bei einer Mutter oder einem Vater wohnen könnte.« Er lachte leise. »Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie es ist, zwei Eltern zu haben.«
    »Es ist nicht so schlimm mit meinen Eltern«, gestand sie ein. »Aber manchmal merke ich, dass es meiner Mutter lieber wäre, wenn ich nicht da wäre. Pa ist immer gut zu mir. Wenn es nach ihm geht, könnte ich immer bei ihnen bleiben. Als er mich zurückgeholt hat, war ihm vermutlich klar, dass ich ein ewiger Klotz am Bein sein würde.«
    Tats legte die Stirn in Falten. Wenn er verwirrt war und das Gesicht verzog, ergab das Spinnennetz auf seiner Wange ganz seltsame Muster. »Als er dich zurückgeholt hat? Wo bist du denn hingegangen?«
    Nun war es an Thymara, sich unbehaglich zu fühlen. Sie hatte stets angenommen, dass jedermann wusste, was sie war, und ihre Geschichte kannte. Ein Regenwildmensch brauchte sie nur anzuschauen, und schon wusste er, wie es um sie bestellt war. Doch Tats war kein gebürtiger Regenwildmann, und über Leute wie Thymara sprachen die Regenwildleute gegenüber Nichteingeweihten nicht. Viele richteten noch nicht einmal das Wort an sie und sahen sie nicht direkt an. Darum war ihre Existenz kein Thema, das man zum Gegenstand eines Gesprächs mit Außenseitern machte. Dass Tats nichts davon wusste, bedeutete demnach, dass die Leute ihn immer noch als Fremden betrachteten. Und er hatte wirklich keine Ahnung, wurde ihr nun schmerzhaft bewusst. Zähneknirschend setzte sie ein schiefes Lächeln auf und hielt ihm die Hand entgegen. »Fällt dir was auf?«
    Er beugte sich vor und musterte ihre Hand. »Eine deiner Klauen ist eingerissen?«
    Sie verschluckte sich an ihrem Lachen. Plötzlich wurde ihr etwas über ihn klar. Er war ihr gegenüber so nett, weil er es nicht besser wusste.
    »Tats, was dir auffallen sollte, ist, dass ich Klauen habe. Keine Fingernägel, sondern Klauen wie eine Kröte. Oder eine Eidechse.« Sie zog ihre Krallen über die Astrinde und hinterließ vier lange Risse. »Diese Klauen machen mich zu dem, was ich bin.«
    »Ich habe viele Regenwildleute mit Klauen gesehen.«
    Sie glotzte ihn an. Dann sagte sie: »Nein, hast du nicht. Du hast viele Leute mit schwarzen Fingernägeln gesehen. Vielleicht sogar dicke schwarze Fingernägel. Aber keine Klauen. Denn wenn ein Säugling geboren wird, der keine Fingernägel, sondern

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