Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
gleich wieder zurück.«
Das Wasser war zurückgegangen, und es gab noch immer reichlich tote Fische zu fressen. Zwar waren sie nicht frisch, füllten aber doch den Magen. Sie war nicht tot. Zumindest noch nicht.
Sintara verlagerte das Gewicht. Ihre Füße waren wund, weil sie ständig im Wasser waren. Obwohl der Fluss nicht mehr so ätzend war wie zuvor, waren ihre Klauen aufgeweicht, als würden sie verfaulen. Und noch nie hatte sie ihre eigene Lage hoffnungsloser eingeschätzt.
Sie, Sintara, die Drachin, die Meer, Land und Himmel hätte beherrschen sollen, war von einer Welle erfasst und herumgewirbelt worden wie ein Hase, der von einem Falken geschlagen wird. Sie hatte gezappelt und gekeucht und hatte sich an einen Baumstamm geklammert wie eine ertrinkende Ratte. »Kein Drache musste je erdulden, was wir ertragen«, sagte sie. »Keiner ist je so tief gesunken.«
»Ums Überleben zu kämpfen, ist keine Schande«, widersprach ihr Mercor. Wie immer war seine Stimme ruhig, beinahe gelassen. »Sieh es als eine schwer erworbene Erfahrung an, Sintara. Wenn du stirbst und gefressen wirst, oder wenn du aus dem Ei Junge ausbrütest, dann werden deine Erinnerungen an diese Zeit weitergetragen. Keine Mühsal ist umsonst. Jemand wird stets aus ihr lernen und Nutzen aus ihr ziehen.«
»Jemand hat die Schnauze voll von deinem philosophischen Gelaber«, grummelte Ranculos der Scharlachrote. Er hustete, und Sintara roch Blut. Sie kam näher an ihn heran. Unter den Drachen hatte er die schwerste Verletzung davongetragen. Als er von der Flut umhergeschleudert worden war, hatte ihn etwas an den Rippen getroffen. Sie spürte die Schmerzen, die er bei jedem Atemzug empfand. Ansonsten waren die Drachen durch ihre festen Schuppen geschützt gewesen. Sestican hatte einen verstauchten Flügel, der wehtat, wenn er ihn ausbreiten wollte. Veras beklagte sich über einen wunden Rachen, weil er saures Wasser geschluckt hatte. Die kleineren Schrammen, die sie abbekommen hatten, waren kaum der Rede wert. Sie waren Drachen und würden schnell wieder gesund werden.
Im Lauf des Tages war der Fluss weiter zurückgegangen. Inzwischen gab es wieder so etwas wie ein Ufer. Aus einem langen Streifen morastigen Schlicks ragte Dickicht hervor, das mit toten Ranken behangen war. Es war eine Wohltat, wieder stehen zu können und den Bauch aus dem Wasser zu heben. Durch den tiefen, saugenden Morast zu stapfen, war jedoch beinahe so anstrengend wie Schwimmen.
»Was soll ich denn sagen, Ranculos? Dass wir uns jetzt, nachdem wir so weit gekommen sind und so viele Widrigkeiten überstanden haben, dass wir uns jetzt zum Sterben hinlegen sollen?« Mercor stapfte zu ihnen herüber. Sintara ging durch den Sinn, dass es bei Drachen nicht üblich war, sich so nahezukommen. Doch während der Jahre, in denen sie bei Cassarick so dicht zusammengepfercht gewesen waren, hatten sie sich verändert. In Zeiten wie diesen, in denen sie erschöpft und unsicher waren, pflegten sie sich zusammenzurotten. Es wäre wohltuend gewesen, sich an Ranculos zu schmiegen und zu schlafen. Aber das würde sie nicht tun. Der Schlick war zu tief. Heute Nacht würde sie im Stehen dösen und von Wüsten und trockenem Sand träumen.
»Nein. Zumindest nicht hier«, gab Ranculos matt zurück.
Auch der große blaue Sestican schleppte sich zu ihnen herüber. Seine azurblaue Haut war schlammverschmiert. »Dann ist es ausgemacht. Morgen marschieren wir weiter.«
»Nichts ist ausgemacht«, entgegnete Mercor milde. Der Golddrache breitete die Schwingen aus und schüttelte sie leicht, sodass Wasser und Schlamm heruntertropften. Seine Pfauenaugenzeichnung war schmutzig. Seit ihrem Aufbruch in Cassarick hatte sie ihn nicht mehr so verwahrlost gesehen.
»Seltsam«, bemerkte Sestican verstimmt. »Ich dachte, wir wollten uns hier nicht zum Sterben hinlegen. Und mir scheint, die Alternative dazu ist, dass wir aufbrechen und nach Kelsingra ziehen.«
»Kelsingra«, sagte Fente, und es klang wie ein Fluch. Die kleine grüne Drachin blies die Lappen ihrer spärlichen Mähne auf. Wären sie richtig gewachsen, wäre es ein bedrohlicher Anblick gewesen. So aber erinnerte es Sintara an eine grün-goldene Blüte an einem dürren Stängel.
»Wenn Ihr mich fragt, ich sehe keinen Grund, weshalb wir auf die Hüter warten sollten. Wir brauchen sie sowieso nicht.« Kalo gesellte sich zu ihnen. Im Gehen breitete er die Flügel aus und schüttelte den Schlamm davon ab. Sie waren größer als Mercors Schwingen.
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