Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
sagte sie. »Sedric ist jetzt mein Hüter. Er kam zu mir, hat mein Blut genommen und es getrunken, um mir näher zu sein. Jetzt denken wir gemeinsam, und mir ist nun alles klarer als davor. Ich werde aus ihm meinen Elderling machen. Das ist mein gutes Recht.«
»Du machst einen Elderling?« Sestican klang verwirrt.
»Ich versuche gerade, ihr sinnvolle Antworten zu entlocken! Sei ruhig!«, zischte Sintara.
»Wir können Menschen nicht verwandeln, solange wir nicht bereit sind, selbst von ihnen verwandelt zu werden«, sagte Mercor müde und ohne auf Sintaras Bitte zu achten. Doch seine Worte brachten sie zum Schweigen. Da war etwas. Etwas, an das sie sich erinnern sollte.
»Können nicht oder sollten nicht?«, fragte Sestican.
»Das verstehe ich nicht!« Fente peitschte mit dem Schwanz.
»Dann sei ruhig und hör zu!« Sintara präsentierte der kleineren Drachin das aufgerissene Maul, eine Drohung, dass sie Gift verspritzen würde. Fente trollte sich ein Stück, wirbelte dann aber herum und zischte Sintara an.
»Hört auf!«, brüllte Ranculos. »Hört auf, alle beide!«
Mercor blickte sich traurig unter ihnen um. Seine schwarzen Augen kreisten langsam. »Wir haben so vieles verloren. Auch wenn wir wachsen und uns allmählich zu wahren Drachen entwickeln, erschrecke ich jeden Tag vor den Lücken in unserer Erinnerung. Natürlich darf ich nicht davon ausgehen, dass jeder von euch sich an dasselbe erinnert wie ich, aber ich mache diesen Fehler immer wieder. Fente, wie es scheint, erinnert sich Relpda an etwas, was viele von euch vergessen haben. Elderlinge können von Drachen erschaffen werden. Manchmal verwandeln sich Menschen allein schon deshalb, weil sie viel Kontakt mit uns haben, wie es mit unseren Hütern geschieht. In den Tagen, als Elderlinge und Drachen Städte und Leben teilten, wurden die Elderlinge von jenen Drachen geformt, in deren Gunst sie standen, so wie ein menschlicher Gärtner einen Baum zurechtschneidet. Mit Bedacht und Sorgfalt wählte ein Drache sein Vorgehen, wenn er einen Elderling schuf. In den Generationen, während derer unsere Völker voneinander getrennt waren, haben die Leute der Regenwildnis einige unbedeutendere Merkmale der Elderlinge angenommen, wenn auch kaum deren Vorzüge.«
»Wie das?«, fragte Sintara. »Wieso sollten sie sich verwandeln, wenn keine Drachen da waren?«
»Das geschah ihnen nur recht«, brummte Ranculos. »Diejenigen, die Drachen in ihren Hüllen getötet haben, die Bauteile und Schnitzereien aus dem geschaffen haben, was einmal ein Drache hätte werden sollen, die Elderlingsartefakte und Zauber gestohlen und benutzt haben, sind am Ende diejenigen, die am meisten unter den Folgen leiden. Das ist nur gerecht. Sie haben genommen, was ihnen nicht gehörte. Sie haben sich ungefragt mit Drachendingen abgegeben. Nun sind die Veränderungen über sie und ihre Brut gekommen. Sie sterben früher und bringen tote Kinder zur Welt. Das haben sie nicht anders verdient.«
»Das sind Mutmaßungen«, warnte ihn Mercor.
»Das sind logische Schlussfolgerungen. Denn es ist kein Zufall. Im tiefsten Innern wissen die Menschen um die Wahrheit. Schaut euch doch an, wen sie für uns als ›Hüter‹ auserkoren haben. Sie haben uns diejenigen zugeteilt, die so stark verändert sind, dass sie kaum mehr unter den übrigen Menschen leben können. Sie haben Schuppen und Klauen, sie können sich nur schwer fortpflanzen, und sie haben kein langes Leben. Das passiert mit Menschen, die sich mit der Zauberei befassen, die ihnen nicht gegeben ist. Sie haben Drachendinge benutzt, unser Blut und Gebein, und deshalb haben sie sich verwandelt. Aber ohne Drachen, die die Verwandlung überwachen, werden sie zu Ungeheuern.«
»Und die Scheußlichen?«, fragte Mercor mit tiefer, walzender Stimme. »Was ist mit denen? Sind auch sie eine wohlverdiente Strafe?«
»Vielleicht«, erwiderte Ranculos ungestüm. »Denn es ist, wie du sagst. Drachen können Menschen nicht verändern, ohne dabei Gefahr zu laufen, selbst verändert zu werden. Lange Zeit hat man vermutet, dass Drachen, die sich zu sehr mit Elderlingen und Menschen abgeben, sich und ihrer Brut schaden. Ein Junges schlüpft aus dem Ei, ist aber nicht, was es sein soll …«
»Müssen wir über solche Obszönitäten sprechen? Haben wir denn gar keinen Anstand mehr?« Die Worte der beiden Drachen hatten in Sintara Erinnerungen geweckt, die lange geschlummert hatten. Einst hatte eine ihrer Vorfahrinnen einen Menschen erwählt, den sie zu einem
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