Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
schob sie die Scherben beiseite, bis sie den Flaschenboden freigelegt hatte. Vorsichtig hob sie die kleine, kupferrot geränderte Schuppe hoch, die in der Phiole stecken geblieben war. Als sie sie ins Licht hielt, stellte sich heraus, dass sie beinahe durchsichtig war.
»Eine Schuppe«, sagte er.
»Ja.«
Mit einem Lappen wischte sie die Scherben von den Planken auf und warf sie in den Abfalleimer zu den Federn und Innereien der Vögel, die sie gesäubert hatte. Dann zog sie das Medaillon aus der Hosentasche.
»Du hast es behalten?« Er war verblüfft.
»Ja. Obwohl ich nicht wusste, warum. Vielleicht, damit es mich daran erinnert, wie dumm ich war.« Sie sah ihn unter gesenkten Wimpern hervor an. »Aber vielleicht brauchst du diese Gedächtnisstütze mehr als ich.«
Sie klappte das Medaillon auf, und Hest starrte daraus hervor. Sein hochmütiges Lächeln war nicht mehr hübsch, sondern nur noch höhnisch. Sie nahm das kleine, mit Seide verschnürte Bündel Haare und legte es beiseite, wie sie es vorhin mit den Innereien getan hatte, die sie aus den Vögeln geschnitten hatte. Dann nahm sie das Messer, mit dem sie die Enten auseinandergenommen hatte, schob es unter Hests Portrait und stemmte es heraus. Behutsam legte sie die kupfern geränderte Schuppe in das Medaillon und klappte es zu. »Immer« stand auf dem kleinen Behältnis. Sie hielt es an der Kette hoch. »Immer«, sagte sie und hielt es Sedric hin.
Nach kurzem Zögern nahm er es entgegen. Einen Augenblick hielt er das Schmuckstück in der Hand. Dann legte er sich die Kette um den Hals und steckte das Medaillon unter sein Hemd. »Immer«, pflichtete er ihr bei.
Sie stand auf, damit er die Tränen in ihren Augen nicht sah. Konnte man das Alte wirklich so leicht hinter sich lassen und etwas Neues beginnen? Sie hob den Deckel des Kochtopfs und rührte die Suppe um. Sie köchelte kaum. Alise würde die Hüter bitten müssen, nach Brennbarem zu suchen, wenn sie heute Abend etwas Gekochtes essen wollten. Sie machte die Ofentür auf und betrachtete die niedergebrannten Kohlen mit einem Stirnrunzeln. »Wir brauchen Brennholz«, stellte sie fest, nur um etwas zu sagen.
»Das können wir verbrennen«, sagte Sedric und schnippte das Miniaturporträt ins Feuer. Offenbar hatte er es genommen, ohne es noch einmal zu betrachten. Auf der Glut wurde es von einer kurz aufflackernden Flamme erfasst, bevor sich das Bild zusammenkrümmte und schwarz wurde. »Und hier ist noch etwas.« Damit landete Hests schwarze Locke auf den Kohlen und wurde angesengt. Rauch stieg auf, und Alise schlug hastig die Ofentür zu.
»Ah, das riecht übel!«, rief sie aus.
Sedric schnupperte. »So ist er nun einmal, nicht wahr?«
Sie hielt sich Mund und Nase zu und lachte in ihre Hand hinein. Zu ihrer Überraschung stimmte Sedric mit ein, und plötzlich lachten sie gemeinsam, wie sie es seit Sa weiß wann nicht mehr getan hatten. Dann aber schlug sein Lachen unversehens in Weinen um, und sie legte den Arm um ihn und stellte fest, dass auch sie weinte. »Das wird alles wieder«, brachte sie heraus. »Alles wird gut. Ich habe ja dich, mein Freund. Das wird wieder.«
Nachdem Sylve hinausgegangen war, hatte Thymara noch eine Weile allein in der Dunkelheit verbracht und geweint. Es war dumm und zwecklos. Aber sie hatte es dennoch gemacht. Und als sie davon überzeugt war, dass all ihre Tränen vergossen waren und sich all ihr Leid in Wut verwandelt hatte, verließ sie die kleine Kammer und machte sich auf die Suche nach Sintara.
Sie ging zur Bugreling und erspähte die Drachen. Sie hielten sich nicht weit vom Kahn entfernt auf. Einige von ihnen hatten sich nebeneinander hingelegt, sodass der Kopf des einen auf dem Rücken des anderen ruhte. Das sah zwar gesellig und friedvoll aus, aber Thymara kannte die Wahrheit. Denn nur so konnten die Drachen ihre Beine ausruhen und schlafen, ohne dass ihre Köpfe im Wasser lagen. Sintara schlief nicht. Sie watete langsam durch ein Schilffeld und spähte ins Wasser. Wahrscheinlich in der Hoffnung auf einen Frosch oder Fisch. Oder anderes Fleisch. Der letzte Regen hatte die Drachen sauber gespült, und als nun die Nachmittagssonne durch die Wolken brach, glitzerte Sintaras Leib. Trotz ihrer Wut konnte Thymara nicht umhin, die Schönheit ihrer Drachin zu bewundern.
Das Licht perlte und flimmerte über ihre Schuppenhaut. Wenn sie den Kopf bewegte, strahlte das Muskelspiel Anmut und tödliche Eleganz aus. Trotz ihrer Größe und obwohl sie nicht für ein Leben
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