Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
nett. Fleisch wäre noch besser. Mit diesem schläfrigen Gedanken bestärkte die Drachin Thymaras Impuls.
»Fisch«, gab Thymara bestimmt und hörbar zurück, während sie im Geist mit Sintara sprach. »Es sei denn, mir begegnet am Ufer Kleinwild. Aber morgens gehe ich nicht in den Wald, denn ich möchte nicht zu spät kommen, wenn die anderen aufwachen und sich zum Aufbruch bereit machen.«
Bist du sicher, dass du dich nicht vielmehr vor dem fürchtest, was du dort vielleicht erblicken könntest? In der Frage schwang eine kleine Spitze mit.
»Ich fürchte mich nicht davor. Ich will es nur nicht sehen«, erwiderte Thymara scharf. Mit mäßigem Erfolg versuchte sie, ihren Geist vor den Gedanken der Drachin zu verschließen. Zwar gelang es ihr, Sintaras Worte auszublenden, aber ihrer Präsenz entkam sie nicht.
Thymara hatte genug Zeit gehabt, um über Sintaras Rolle bei ihrer Entdeckung nachzudenken. Sie war überzeugt, dass die Drachin sie absichtlich auf Grefts und Jerds Spur geschickt hatte, dass sie gewusst hatte, was die beiden taten, und dass sie mit jedem ihr zur Verfügung stehenden Mittel dafür gesorgt hatte, dass Thymara Zeugin davon wurde. Es schmerzte sie immer noch, wenn sie daran dachte, wie Sintara sie mit ihrem Zauber dazu gezwungen hatte, Greft in den Wald zu folgen.
Aber sie wusste nicht, weshalb die Drachin dies getan hatte, und sie hatte Sintara auch nicht danach gefragt. Denn wie sie inzwischen wusste, erhielt man auf eine direkte Frage mit Sicherheit eine Lüge als Antwort. Indem sie wartete und genau zuhörte, würde sie mehr erfahren. Eigentlich fast so, als hätte ich es mit meiner Mutter zu tun, dachte sie und lächelte bitter.
Sie verdrängte den Gedanken und versenkte sich ganz in die Jagd. Zu dieser Tageszeit hatte sie ihre Ruhe. Denn nur wenige Hüter standen so früh auf. Die Drachen rekelten sich zwar in den ersten Sonnenstrahlen, blieben aber liegen, um sich für die Anstrengung des Tages aufzuwärmen und Kraft zu sammeln. So hatte sie das Ufer für sich, während sie leise und mit dem Speer in der Hand am Wasser entlangpirschte. Sie vergaß alles außer der Jagd auf die Beute, in vollkommenem Einklang mit der Welt um sich herum. Über dem breiten Strom bildete der Himmel einen schmalen Streifen Blau. Am Ufer raschelte kniehohes Schilf, das in fast klarem Wasser stand. Im glatten Schlamm waren die Abdrücke all der Kreaturen zu sehen, die in der Nacht darübergegangen waren. Während die Hüter geschlummert hatten, waren mindestens zwei Sumpfelche zum Wasser gekommen und hatten sich dann wieder zurückgezogen. Etwas mit Schwimmhäuten an den Füßen war aus dem Wasser gekrochen, hatte Süßwassermuscheln gefressen und die Schalen am Ufer zurückgelassen, bevor es wieder in den Fluss geglitten war.
Sie beobachtete einen großen schnurrbärtigen Fisch, der sich ins Flachwasser vortastete. Anscheinend sah er sie nicht. Seine Barteln wühlten den Schlick auf, und er schnappte nach einem kleinen Wesen, das er aufgescheucht hatte. Sein Weg führte ihn näher an Thymara heran, die mit erhobenem Speer bereitstand, doch als sie die Waffe auf ihn herniedersausen ließ, war er mit einer schnalzenden Schwanzbewegung verschwunden. Um den Speer wallte nur noch der aufgewirbelte Schlick.
»Verdammtes Pech«, grummelte sie und zog den Speer aus dem Schlamm.
»Das klingt nicht gerade nach einem Gebet«, tadelte Alise sie freundlich.
Thymara erschrak und behielt nur mit Mühe ihre ruhige Haltung. Sie hob den Speer wieder an, warf der Frau über die Schulter einen Blick zu und setzte ihre Pirsch am Flussufer fort. »Ich bin bei der Jagd. Und ich habe die Beute verfehlt.«
»Ich weiß. Ich habe es gesehen.«
Thymara ging weiter, den Blick auf den Fluss gerichtet, in der Hoffnung, die Frau aus Bingtown würde den Wink verstehen und sie in Ruhe lassen. Zwar hörte sie nicht, ob Alise ihr folgte, aber aus den Augenwinkeln sah sie den Schatten der Frau, der mit ihr Schritt hielt. Eine Weile lang schwieg sie, doch dann entschied sie trotzig, dass sie vor der Frau nicht kuschen musste, und sprach sie an. »Ihr seid früh auf den Beinen.«
»Ich konnte nicht schlafen. Ich bin schon vor dem Morgengrauen aufgestanden. Und ich gestehe, dass ein verlassener Uferstreifen einsam werden kann. Deshalb war ich froh, dich zu sehen.«
Diese Bemerkung war weitaus freundlicher, als Thymara erwartet hatte. Wieso unterhielt sich die Frau überhaupt mit ihr? War sie wirklich derart einsam? Ohne vorher darüber
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