Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
und auf unangenehme Weise. Es war nicht ihre Schuld. Sie hatte weder das Blut mit ihr teilen noch diese geistige Nähe schaffen wollen, die nun nie mehr verschwinden würde. Und sicher war es nicht ihre Absicht gewesen, die Verwandlung, die Thymara durchlief, zu beschleunigen. Denn sie hatte nicht das Verlangen, einen Elderling zu schaffen, geschweige denn, die Zeit und Konzentration aufzubringen, die es brauchte, um einen zu formen. Sollten die anderen sich doch mit einem derart altmodischen Zeitvertreib abgeben. Menschen waren lächerlich kurzlebig. Selbst wenn ein Drache einen Menschen veränderte und seine Lebensspanne um ein Vielfaches verlängerte, war es nicht mehr als ein Bruchteil eines Drachenlebens. Warum sollte man sich die Mühe machen, einen Elderling zu erschaffen und sich mit ihm einzulassen, wenn er sowieso bald starb?
Nun war Thymara allein davongeeilt und schmollte. Oder sie trauerte. Manchmal erschien Sintara der Unterschied zwischen diesen beiden Dingen unerheblich. Ach, jetzt weinte das Mädchen auch noch, als könne man mit Weinen etwas wiedergutmachen. Dabei war es doch nur eine widerwärtige Regung der Menschen, sobald ihnen etwas zu schwierig war. Sintara verabscheute es, das schmerzhafte Gefühl von Thymaras Tränen, ihrer tropfenden Nase und ihrer heiseren Kehle mitzuerleben. Am liebsten hätte sie das Mädchen ordentlich angeherrscht, wusste aber, dass dies alles nur noch schlimmer machen würde. Deshalb riss sie sich zusammen und näherte sich ihr freundlich.
Thymara. Bitte höre auf mit diesem Unsinn. Das führt nur dazu, dass wir uns beide schlecht fühlen.
Ablehnung. Das war alles, was ihr von dem Mädchen entgegenschlug. Nicht einmal ein zusammenhängender Gedanke, nur der vergebliche Versuch, die Drachin aus ihrem Geist zu verbannen. Wie konnte sie nur so rüde sein! Als wäre diese mentale Verbindung Sintaras Wunsch gewesen!
Als die Drachin am Ufer einen Sonnenplatz fand, streckte sie sich darauf aus. Bleib mir aus dem Kopf , warnte sie das Mädchen und wandte entschlossen ihre Gedanken von ihm ab. Doch es blieb ein leises Gefühl von Verzweiflung und Trauer, das sie nicht vollständig unterdrücken konnte.
Vierzehnter Tag des Gebetsmonds
IM SECHSTEN JAHR DES UNABHÄNGIGEN HÄNDLERBUNDS
Von Detozi, Vogelwart in Trehaug, an Erek, Vogelwart in Bingtown Habe heute mit dem Lebensschiff Golddaune fünfundzwanzig Vögel verschickt. Der Kapitän des Schiffs überbringt Euch eine Zahlung des Regenwildkonzils in Trehaug für drei Zentnersäcke der gelben Erbsen zur Taubenfütterung.
Erek,
endlich konnte ich das Konzil von dem Wert guten Vogelfutters überzeugen. Ich habe ihm auch einige der Königstauben gezeigt, samt zwei halb ausgewachsenen Jungtauben. Ich habe ihnen erklärt, dass die Vögel alle sechzehn Tage zwei Eier legen und dass ein gutes Paar oft sofort wieder Eier legt, sobald die vorherigen ausgeschlüpft sind, sodass frei fliegende Tauben einen unablässigen Nachschub an Speiseküken produzieren. Sie schienen von der Idee angetan zu sein.
Über Meldar und Finbok kann ich Euch nur berichten, was ich aus Cassarick vernommen habe. Die Frau war begierig, sich der Expedition anzuschließen und ließ sich als Mannschaftsmitglied vertraglich verpflichten. Meldar ist anscheinend einfach so mitgegangen. Allerdings hat das Schiff keine Brieftauben an Bord, was meines Erachtens ein törichter Fehler ist. Bevor sie zurückkehren oder eben auch nicht zurückkehren, haben wir keine Möglichkeit, zu erfahren, was aus ihnen geworden ist. Ich bedaure, keine weiteren Informationen für die Familien zu haben.
Detozi
4
Blaue Tinte, schwarzer Regen
S teif saß Alise am Kombüsentisch. Draußen wurde der Abend zur Nacht. Sie war züchtig – wenn auch exotisch – in eine lange Robe aus weichem Stoff gekleidet. Sie konnte nicht erfühlen, aus welchem Garn der Stoff gewebt war. In ihrer stillen, zurückgezogenen Art huschte Bellin durch den Raum. Bei Alises Anblick hob sie überrascht und anerkennend die Augenbrauen, lächelte sie verschwörerisch an, sodass Alise errötete, und ging weiter. Lächelnd neigte Alise den Kopf.
Bellin war ihr zu einer Freundin geworden, wie sie nie zuvor eine gehabt hatte. Ihre Unterhaltungen waren kurz, aber vielsagend. Einmal war Bellin zu ihr gekommen, als sie sich an die Reling gelehnt und den Nachthimmel betrachtet hatte. Die Matrosin hatte sich neben sie gestellt und gesagt: »Wir Leute aus der Regenwildnis leben nicht lange. Wir
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