Raine der Wagemutige
überraschte ihn. Er war völlig entspannt gewesen und hatte einfach nur den Duft der Frau ihm gegenüber, ihre Wärme und ihren Anblick genossen. Sie wiederholte ihre Frage ungeduldig, ohne ihn dabei anzusehen. „Warum wart Ihr so grob?“
„Die Frau, für die Ihr Euch ausgegeben habt, ist derb“, erwiderte er verblüfft. Sicherlich wusste sie, was für eine Sorte Frau ihre Tante war, vor allem da sie ja deren Neigungen so zweckdienlich ausgenutzt hatte, seine vorerst begrenzte Freilassung zu erlangen.
„Aber Ihr habt mich berührt, auch nachdem ich unmissverständlich deutlich gemacht hatte, dass ich es nicht wollte. “
Er war sich nicht ganz sicher, was sie meinte, darum schwieg er und wartete ab.
„Ihr habt Euch wie ein Rüpel benommen, und doch ist Eure Sprache tadellos, als ob Ihr von vornehmer Abstammung wärt. Seid Ihr das? Seid Ihr von vornehmer Abstammung? Hat sich Euer Verbrechen gegen einen Adeligen gerichtet?“
„Madame, verzeiht, aber ist es nicht ein wenig spät, nach einem Empfehlungsschreiben zu fragen?“ erkundigte sich Raine, sichtlich belustigt über ihren anklagenden Tonfall.
„Warum wart Ihr im Gefängnis?“ platzte sie heraus, und dieses Mal wurde ihre Frage von einem besorgten Blick be-gleitet. „Habt Ihr . . . habt Ihr einer Frau etwas angetan? Einer vornehmen Dame?“
Sie hielt ihn für jemanden, der Frauen Gewalt antat? Nun ja, zugegeben, sie war nicht die Erste, die diesen Fehler beging. Dennoch, zu einem anderen Zeitpunkt wäre er ernsthaft beleidigt gewesen. Er hätte sie in aller Höflichkeit zur Hölle gewünscht und die Nacht damit verbracht, seine Unwiderstehlichkeit für das andere Geschlecht zu beweisen.
Doch ja, vermutlich würde sie das glauben, berücksichtigte man, wie er sich ihr vorhin aufgedrängt hatte. Er rieb sich nachdenklich die Wange und fragte sich zum ersten Mal seit Jahren, was ihm ein Blick in den Spiegel wohl zeigen würde. Er lächelte, und sie, seine Reaktion missverstehend, schrak weiter in ihre Ecke zurück.
„Nein“, sagte er, um ihr die Angst zu nehmen, „ich habe noch nie eine Frau gegen ihren Willen genommen.“
„Aber warum . ..“, sie zögerte, „warum wart Ihr dann im Gefängnis?“
„Aus ,politischen Gründen“, ein Ausdruck, den ich so zu verstehen empfehle, dass jemand hoffte, aus meiner Haft Gewinn zu schlagen.“
„Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.“
„Und Ihr wollt die Frau eines Diplomaten gewesen sein?“ spottete er milde; sie jedoch schaute ihn lediglich wieder mit diesem verständnislosen Ausdruck an, und, von ihrer offensichtlichen Jugend einmal mehr überrascht und beunruhigt, bestand seine Antwort aus einem kleinen Seufzen.
„Was habt Ihr getan?“
„Was ich getan habe?“ wiederholte er ihre Frage. Schließlich entschloss er sich, ihr die Wahrheit zu sagen. „Ich wurde ins Gefängnis geworfen, weil man es konnte, und ich wurde dort gefangen gehalten, weil irgendein französischer Beamter sich einbildete, man würde für mich Lösegeld bezahlen.“ Er beugte sich vor, so dass er ihr näher war, und wurde mit einem Hauch ihres zarten, zu Kopfe steigenden Duftes belohnt. „Wenn es unter uns bleibt, kann ich Euch jedoch verraten, dass - einmal ausgenommen von Euch -niemand anders je einen Grund hätte finden können, mich freizukaufen. Meinen aufrichtigsten Dank.“
Er lächelte erneut, dieses Mal ohne Bitterkeit, da ihm plötzlich wieder einfiel, dass er ohne diese Frau nicht in einer warmen Kutsche säße, sauber und ordentlich gekleidet, verblüfft über seine unerwartete Freiheit und voller Sorge, er könnte diese jetzt doch noch wieder verlieren.
Aber anstatt sie zu beruhigen, schien sein Lächeln ihre Bestürzung nur zu vergrößern. Ihre Mundwinkel senkten sich unglücklich, und sie rang die Hände sorgenvoll in ihrem Schoß. „Ihr habt es gehasst, eingesperrt zu sein.“ Dieses Mal lachte er trotz allem und hörte, wie als Antwort darauf, Jacques auf dem Kutschbock sein Gewicht verlagern.
„Seid unbesorgt, Freund Jacques“, rief er mit gedämpfter Stimme, „Eure Herrin beliebt zu scherzen. Ich würdige ihre Bemühungen lediglich angemessen.“
Er musterte die junge Frau ihm gegenüber. Sie wirkte frisch und verletzlich auf ihn, und, so räumte er ein, ein wenig gekränkt darüber, dass er über ihre Bemerkung gelacht hatte. Jacques hatte Recht, sich um sie Sorgen zu machen. Raine hatte früher einmal bestimmt hundert Männer gekannt, die solche Unschuld wie ihre wie ein Festmahl
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