Raine der Wagemutige
wisst, dass ich in diesem Falle keine andere Wahl habe, als mich mit meiner neusten Erwerbung zu trösten - Campion Castle. Wie lange hat es Eurer Familie gehört, Tunbridge? Zwei- oder dreihundert Jahre?“
Tunbridges Zittern ließ nach. Seine Züge waren wieder erschlafft, ein Ausdruck, der, wie Carr zu begreifen begann, ebenso sehr eine von Tunbridges Angewohnheiten zu sein schien, wie er unkleidsam war.
„Nicht nur das“, fuhr Carr milde fort, „denn ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich dann wahrscheinlich die Vorstellung genießen werde, wie es Euch auf dem Gefangenenschiff ergehen mag, mit dem Ihr deportiert werdet, endlich doch der gerechten Strafe zugeführt, wegen der unschönen Sache mit dem Tod der Hure aus Cheapside vor so vielen Jahren.“
„Aber da war ich doch betrunken!“
„Ah!“ Carr drohte ihm scherzhaft mit erhobenem Zeigefinger. „Ich jedoch nicht.“
Tunbridge wurde noch blasser.
„Nun, ich will dieses Mal nachsichtig sein, weil es sich als mühsam und zeitaufwändig erweisen würde, eine neue Kröte mit Euren speziellen Fähigkeiten an einem so späten Zeitpunkt in meinem kleinen Spiel zu finden. Es kann selbstverständlich jederzeit getan werden, und sollte es sich als notwendig heraussteilen, wird es auch geschehen. Ihr tätet gut daran, das nicht zu vergessen, Tunbridge, wenn Ihr das nächste Mal den Drang verspürt, Euch selbst als Erpresser zu versuchen.“ Carr legte den Kopf schief. „Haben wir uns verstanden?“
Tunbridge nickte stumm.
„Gut. Nun seid so freundlich und sagt bitte, worum geht es bei dieser Sache mit Fia?“
Wie eine Marionette, deren Fäden man durchschnitten hatte, ließ Tunbridge die Schultern hängen. Sein Gesicht verriet schier übermächtiges Elend. „Sie ist eine Sirene! Ich schwöre es. Sie treibt mich in den Wahnsinn.“
„Ja.“ Carr nickte. „Ich habe gehört, dass sie darin wirklich gut sein soll.“
„Sie hat mich verhext, das sage ich Euch. Sie ist eine Teufelin!“ fuhr Tunbridge mit verzweifelter Stimme fort. „Das ist die einzige Möglichkeit, um die Besessenheit zu erklären, die sie in mir geweckt hat.“
„Nun, das wäre aber ein reizendes Gerücht, um es am Abend ihres ersten Balles als Debütantin in Umlauf zu bringen“, erwiderte Carr aufreizend ungerührt. Am Ende musste er sich vielleicht doch noch mit Tunbridge befas-sen, wenn er derlei unsinniges Gefasel nicht bald einstellte. Eine „Sirene“ war faszinierend; eine „Teufelin“ dagegen war Besorgnis erregend.
Tunbridge streckte flehend eine Hand aus. „Ich muss sie haben. Ich muss.“
„Macht Euch nicht lächerlich.“
„Aber warum denn nicht?“ fragte Tunbridge kläglich. Er sah völlig verstört aus und als ob er Schmerzen litte. Carr konnte nicht umhin, Fias Fertigkeiten insgeheim Bewunderung zu zollen. „Ich bin reich. Ich habe beste Verbindungen. Warum nicht?“
„Weil ich Euch bereits in meiner Macht habe“, erklärte Carr liebenswürdig. „Fia mit Euch zu verheiraten, wäre völlig überflüssig, eine Art von Verschwendung. Nein. Fia wird jemanden heiraten, der sich nicht irgendeinem anderen Einfluss, den ich ausüben kann, beugt.“ Sein Lächeln offenbarte einen gewissen Stolz. „Weil Fia der letzte Anreiz sein wird.“
„Aber . . . aber ich will sie!“ beschwerte sich Tunbridge, der inzwischen alle Versuche, männliche Gelassenheit zu zeigen, aufgegeben hatte.
Carr schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Kommt, Mann. Legt Euch ein Rückgrat zu. Außerdem würde Euch Fia innerhalb von vierzehn Tagen mit Haut und Haar verspeist und wieder ausgespuckt haben. Himmel! Das Mädchen ist erst sechzehn! Sie schärft doch erst ihre Milchzähne an Euch. Stellt Euch nur vor, wie sie mit zwanzig sein wird. Drei. .."
Das schwache Pfeifen eines Dudelsacks wehte aus dem Nebel zu ihnen und ließ Carr mitten im Wort verstummen. Er hob abrupt den Kopf. „Habt Ihr das gehört?“
„Was gehört?“ erkundigte sich Tunbridge gleichgültig. „Was würdet Ihr sagen, wenn Lady Fia erklärte, sie wolle mich heiraten?“
„Das tut sie nicht.“ Carr spähte in die in der Dämmerung weißlich schimmernden Nebelschwaden. Der verschwommene Umriss einer dunklen Gestalt schwebte darin eingehüllt näher. Dessen war er sich ganz sicher. Eine männliche Gestalt, die ein gegürtetes Plaid trug. „Seht Ihr irgendetwas dort draußen?“
„Warum sollte sie das nicht wollen?“
Carr bedachte Tunbridge mit einem unwirschen Blick, bevor er seine
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