Raine der Wagemutige
Muira hämisch. Sie saß in dem Schlafzimmer, das Carr ihr als Favor Donnes Anstandsdame zugewiesen hatte, am Frisiertisch.
Während Favor ihr zusah, tauchte Muira einen Bausch Baumwollwatte in ein Gläschen mit einer fettreichen Creme und begann sich die Ockerfarbe aus dem Gesicht zu wischen. „Nicht dass er ihn hätte finden können. Er mag zwar vielleicht mehr als zwanzig Jahre hier in der Burg gelebt haben, aber er kennt nicht die Hälfte ihrer Geheimnisse, wie zum Beispiel, dass sich jemand, der an der Brüstung unterhalb des Südturmes etwas flüstert, anhört, als ob er in den Gärten unterhalb des Burghofes stünde. “
„Ihr seid Euch reichlich sicher, was Carr weiß und was nicht“, bemerkte Favor.
„Das sollte ich auch. Ich habe mir jetzt zwei Jahre lang seine irren Reden, sein Prahlen und Fluchen angehört, und ich habe ihn ein Dutzend Jahre davor beobachtet. Ich kenne Carrs schwarze Seele so gut wie meine eigene“, sagte Muira. Sie warf den schmutzigen Baumwollbausch ins Feuer und machte sich daran, die Kleider, die sie abgestreift hatte, zu einem schmalen Bündel zusammenzurollen, das sie dann später in der verschlossenen Truhe am Fußende ihres Bettes verstauen würde.
Favor blickte sich in dem Zimmer um und fragte sich, welche Geheimnisse sich hier wohl verbergen mochten. Glücklicherweise war ihr eigenes Zimmer nicht mit diesem hier durch eine Tür oder eine Kammer verbunden. Die Vorstellung, dass Muira ungehinderten Zugang zu ihrem Schlafzimmer hätte, behagte ihr keineswegs.
„Wenn ich mich doch nur an irgendetwas an Janet entsinnen könnte, das nur Carr aufgefallen sein dürfte“, stieß
Muira aus und musterte ihr Spiegelbild aus nachdenklich zusammengekniffenen Augen.
„Nun, dann wollen wir hoffen, dass Euch möglichst bald etwas einfällt“, warf Favor ein. „Wir sind jetzt schon seit zwei Wochen Gäste auf dieser Burg hier, und bisher hat er mir nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt als der Katze aus der Spülküche. Außer nackt im Schein des Kaminfeuers vor ihm zu tanzen, weiß ich nicht, was ich noch tun könnte, seine Aufmerksamkeit zu erregen.“
Muira bedachte sie mit einem verärgerten Blick. Sie fuhr fort, begann ihre Backen auszupolstern, und als sie damit fertig war, verteilte sie noch eine Schicht feinen weißen Puders auf ihrem Gesicht, wobei sie besondere Sorgfalt auf Augenbrauen und Wimpern verwandte. Dann schlang sie ihr weißes Haar zu einem Knoten und steckte ihn fest.
Niemand, der sie jetzt anschaute, das pausbäckige Gesicht mit der blassen Haut, würde in ihr „Pala“ wieder erkennen, die dunkle, drahtige Zigeunerin, die Carr vor fast zwei Jahren in seinen Ställen gefunden hatte.
„Ich habe zwei Jahre darauf verwendet, Carrs Kopf mit Hinweisen und Vorzeichen zu füllen, die auf Janets Rückkehr hindeuten“, erwiderte Muira. „Wenn es dir misslingt, Carr glauben zu machen, du wärest sie, dann liegt das einzig und allein daran, dass du es nicht anders willst.“
Sie musterte Favor sinnend, während sie das Oberteil ihres Kleides mit wollenen Polstern ausstopfte. „Ist es das? Fragst du dich, was aus dir würde, wenn deine Zukunft dir gehörte?“ Ihr schottischer Akzent trat mit jedem ihrer verächtlich gesprochenen Worte deutlicher hervor. „Du denkst immer noch an diese englische Vogelscheuche aus dem Gefängnis, nicht wahr?“
„Nein“, wies Favor den Vorwurf von sich.
„Doch.“ Muira nickte. „Jamie sagte, dass du ihn, kurz bevor wir hierher aufgebrochen sind, als er gerade wieder aus Frankreich zurückgekommen war, gefragt hast, ob er vielleicht gehört habe, was aus dem Mann geworden ist.“ „Ich weiß, Ihr werdet mir nicht glauben, aber ich habe nur gefragt, weil ich mich . . . “
„Schuldig fühle.“ Muira spie die Worte, mit denen sie Favors Satz beendete, förmlich aus. „So sagtest du schon. Das hast du das ganze vergangene halbe Jahr immer wieder gesagt. Nun, mir scheint, dein zart besaitetes Gewissen hat einen ganz schön großen Appetit entwickelt. Man sollte allerdings meinen, dass ein junges Ding, das die Schuld am Tode der meisten seiner Clanmitglieder trägt, keinen Raum für noch mehr Schuldgefühle hätte.“
„Ihr wäret sicher überrascht, wenn Ihr wüsstet, wozu ich in der Lage bin“, versetzte Favor mit ausdrucksloser Miene. Den Überzeugungsmethoden der alten Frau mangelte es ganz bestimmt an Raffinesse, aber Wirksamkeit konnte man ihnen nicht absprechen. Seit sie sie aus Frankreich nach Schottland geholt
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